Dilemma mit uneinsichtiger Mutter
Hallo liebe Community,
ich stecke derzeit in einem riesigen Dilemma für mich und meine Familie und weitere Angehörige. Es ist ein Zustand ohne (guten) Ausweg, der uns alle sehr ratlos macht. Wir hatten bis jetzt auch keinerlei Berührungspunkte und Erfahrungen mit Demenzerkrankten.
Ich versuche mal die Geschichte kompakt wiederzugeben:
Vorgeschichte:
Meine Mutter, eine alleinstehende 87-jährige Frau mit chronischen Krankheiten (Blutverdünnung notwendig, Osteoporose, Asthma, künstliche Herzklappe, Wassereinlagerungen in den Beinen, chronische Rückenschmerzen) ist in den letzten Jahren oder Monaten schleichend an Demenz erkrankt. Bisher lebte sie alleine in einer 2-Zimmer Mietwohnung und ist noch Auto gefahren, hat aber zuletzt ihre notwendigen Medikamente nicht mehr eingenommen, alles vernachlässigt und alltägliche Dinge wie Kochen, Wäsche, Körperpflege etc nicht mehr hinbekommen. Sie hat täglich - relativ willkürlich - Schmerztabletten in Eigenregie gegen die Rückenschmerzen genommen, hatte starken Bluthochdruck und kein Verständnis für die Gesundheitsgefahr. Außerdem manifestierte sich eine Depression (unsere Einschätzung) aufgrund des mangelnden Lebenssinns, der Krankheiten und des Alters (Altersdepression). Der Zustand verschlimmerte sich bis Angehörige sie widerwillig ins Krankenhaus einlieferten. Der körperliche Zustand, abgesehen von der Demenz, verbesserte sich durch die Behandlung. Anschließend wurde sie erstmal zur Kurzzeitpflege in ein Pflegeheim aufgenommen, der Zeitrahmen ungewiss. Der Gesamtzustand verbesserte sich körperlich wie auch psychisch. Sie fühlt sich relativ wohl im Pflegeheim, hat soziale Kontakte. Die Demenz und ihre Auswirkungen (Vergessen, Durcheinanderbringen, Uneinsichtigkeit der eigenen Situation, unrealistische Einschätzungen) sind jedoch weiterhin vorhanden und werden auch nicht mehr verschwinden. Die Kurzzeitpflege wurde ohne ihr Wissen dann in einen dauerhaften Aufenthalt umgewandelt. Das Pflegeheim ist wirklich gut und es gibt bisher NICHTS zu beanstanden. Wir haben auch andere Zustände gesehen. Meine Mutter hat also wirklich Glück mit diesem Heim und den Pflegekräften dort, die einen tollen Job machen!
ABER meine Mutter denkt bisher wieder nach Hause zu kommen, sogar wieder Autozufahren... und verkennt, dass sie nicht mehr alleine leben kann. Die Angehörigen und Familie sind der Meinung, dass die Frau nicht mehr alleine leben kann, ansonsten ihr Umfeld nur rund um die Uhr belasten würde, sich nicht ausreichend gekümmert werden könnte und somit die Frau in ihrer aktuellen Lage im Pflegeheim am besten aufgehoben ist. Erschwerend hinzu kommt, dass ein unterschwellig toxisches Verhältnis zu mir, der 66-jährigen Tochter, die als Partnerersatz (alles außer sexuell) dient, herrscht und ich darunter enorm leide. Ich selber hatte vor 3 Jahren eine Krankengeschichte, die ich nur mit sehr viel Kampf überlebt habe - mit Auswirkungen und Einschränkungen bis heute.. Dies hat meine Mutter auch damals schon "auf die leichte Schulter" genommen. Es gibt auch noch meinen Bruder (62J.), der sich aber nicht kümmert und allgemein ein eher schlechtes Verhältnis herrscht.
Problem:
Meine Mutter hat keine realistischen Einschätzungen über ihre Situation und denkt sie kann wieder alleine leben. Dabei hat sie die ganze Vorgeschichte und ihren letzten Zustand zu Hause bereits vergessen. Die Frau kann die Finanzierung des Pflegeheims nicht aus eigenen Mitteln aufbringen, also wurde die Übernahme beim staatlichen Träger beantragt. Dieser fordert natürlich zuerst die Kündigung der Mietwohnung meiner Mutter. Also muss die Wohnung aufgegeben und gekündigt werden. Dies wird die Frau aber niemals aus eigener Überzeugung und Einsicht tun. Die Familie und vor allem ich, leide unter der psychischen Belastung, die Wohnung heimlich kündigen zu müssen. Allgemein ist es ein großes Problem, die Frau zu überzeugen. Gefühlt ist es, wie mit einem Tropfen Wasser ein ganzes Feuer löschen zu wollen. Egal welche positiven Gründe wir nennen würden, meine Mutter wüsste es doch besser.
Mein Sohn ist der Meinung, dass leider nur "Fühlen statt hören" funktionieren würde, d.h. sie soll doch nach Hause gehen und niemand wird ihr auch nur im geringsten helfen. Sie meint ja sie kann ALLES alleine. Dann muss sie es wohl erst am eigenen Leibe erfahren um zur Einsicht zu kommen. Dies würde ich aber psychisch nicht aushalten! Und auch für meinen Sohn wäre das nicht tragbar weil er direkt selbst betroffen ist durch meine eigene nichtvorhandene psychische Belastbarkeit in diesem Thema.
Fachleute und Erfahrene raten stets davon ab mit Fakten, Realitäten, etc auf die Erkrankten einzureden, da ja eh kein Verständnis dafür existiert. Allerdings ist es mir ein Rätsel wie man diese Situation sonst lösen soll. Unser Ziel ist es natürlich für alle Beteiligten den besten und lebenswertesten Weg zu finden. Ich/wir denken, dass meine Mutter einen schöneren, gesünderen, besseren Alltag im Pflegeheim hat und es auch für uns alle viel weniger belastend und quälend wäre. Auch auf die Beziehung zu meiner Mutter hat der aktuelle Heimaufenthalt positive Auswirkungen. Es ist wie ein loslösen aus den eigefahrenen Gewohnheiten und Frust zu Hause. Allerdings rafft meine Mutter das überhaupt nicht!
Wir Angehörigen diskutieren uns kaputt darüber wie und was wir jetzt tun sollen und kommen doch auf keine Lösung.
Möglicherweise gibt es hier fachkundige oder Menschen, die ähnliche Erfahrungen machen mussten. Ich wäre sehr sehr dankbar für Tipps und Meinungen.
Liebe Grüße
Kommentare
Meine Erfahrung sagt: Demenzkranke können die reale Situation nicht real einschätzen. Gibt es keine Person, die eine Vollmacht hat? Die Wohnung muss gekündigt werden, wenn die Sozialhilfe die Heimkosten zahlen soll. Das Heim ist für viele Menschen mit unklaren Vortsellungen verbunden und negativ besetzt. Kaum jemand setzt sich damit auseinander, dass Krankheit, Sterben und Tod in das Leben hinein gehören. Ihr könnt die Mutter wieder nach Hause lassen. Niemand darf gegen seinen Willen irgendwo untergebracht werden. Uns ging es auch mal so. Schwiemutter wollte nicht ins Heim. wir haben dann die Wohnung gekündigt. Im Heim ging es ihr nicht gut. Sie hat noch 8 Monate dort gelebt und sich aufgegeben. Aber für mich war es okay so. Sie hat ihren Alltag nach ihrem Willen gestaltet.
Du fragst nach Erfahrung oder fachkundigen Menschen: Ich habe Erfahrungen, weil ich selbst in einer Demenz- WG, im Altenheim und in der ambulanten Pflege als Fachkraft gearbeitet habe. Mein Mann hat vor 3 Jahren die Diagnose Alzheimer bekommen und ich pflege ihn gerade zu Hause.
Liebe @Blume59,
Wir sind auch gerade in dieser Situation und mein Mann sagt immer, ich soll mir nicht alles so zu Herzen nehmen.
Seit Ende letzten Jahres hat sich auf einmal der körperliche und mentale Zustand meiner Schwiegermutter drastisch verschlechtert. Zuerst war uns nicht bewusst warum, bis wir dann festgestellt haben, dass sie dringende Untersuchungen nicht hat machen lassen bzw. (bewußt aber auch unbewußt) verschwiegen hat.
Sie war seit dem 2x im Krankenhaus und wir managen alles für sie. Natürlich ist es ihr dann nicht (komplett) bewußt, dass sie fast nichts mehr kann. Wie auch, wenn wir (hauptsächlich ich) alles geregelt haben (Pflegeservice initiert, Verordnungen besorgt, Arzttermine besorgt (ist ja heutzutage extrem zeitintensiv) und sie dahin gefahren (mit ellen langen Wartezeiten), Essensdienst beauftragt usw).
Ich habe einen anstrengenden 40+x Stunden Beruf und mir ist es in den Monaten auch immer schlechter gegangen. Meine Migräne, welche ich seit 2 Jahren (dank meiner Neurologin) einigermaßen im Griff hatte, hat jetzt wieder voll zugeschlagen. 2 ganze Wochen war ich raus. Das muss ich alles nachholen (es gibt ja keine "Vertretung" mehr) und wärend ich krank war trotzdem: Pflege hinterher laufen, Arzt kontaktieren, Dermatologe kontaktieren, Apotheken abfahren (sie bemerkt nicht mehr von alleine, wenn ihr etwas fehlt) um Cremes und Einlagen zu besorgen.
Wir bzw. ich kann nicht mehr und gleichzeitig kann ich sie nicht sich selbst vernachlässigen lassen. Genau das ist der Punkt: wir sind zwar so erzogen worden, anderen zu helfen, aber nicht um uns selbst dadurch in Gefahr zu begeben. Wenn unsere Gesundheit dadurch langfristigen Schaden erleidet hört "der Spaß" auf (O-Ton mein Mann).
Ich bin sehr Dankbar für Ihre Nachricht. Erstens, weil ich an Ihrem Beispiel sehe, dass ich nicht alleine bin und Ihre Vorgehensweise (einen Kurzaufenthalt als Anlass für den Langzeitaufenthalt zu initieren) ist für mich eine phantastische Idee. Wenn es in dem Tempo so weiter geht, wird dies wahrscheinlich schon Anfang nächsten Jahres notwendig sein.
Lg