Wenn der Ehemann kein Partner mehr sein kann

Mein Mann und ich gingen vor 14 Jahren gemeinsam in den Ruhestand. Damals war er 63 und ich 60 Jahre alt. Wir verwirklichten noch einen Traum:Wir verkauften unser Haus im bergischen Land und bauten in Belgien in der sogenannten Malmedyer Wallonie ein neues. Er erbrachte sehr viel Eigenleistung und wir waren dort wirklich glücklich.
Zwei Jahre später fiel mir seine zunehmende Orientierungslosigkeit auf... plötzlich hatte er Probleme, selbst bekannte Strecken zu fahren. Und er , der so außerordentlich handwerklich begabt war, hatte auf einmal Schwierigkeiten, die Werkzeuge richtig einzusetzen... Das ging alles langsam voran ... Wir hatten viel Besuch und ich konnte die Defizite noch kaschieren. Sprach auch mit niemand darüber..bis wir vor 10 Jahren eine unserer Töchter und Familie in Südfrankreich besuchten; wir blieben dort 11 Tage... und jeden Tag fragte er mehrmals, wo denn das Badezimmer sei... dadurch fiel es der Tochter auf.. die sprach mit ihren Schwestern darüber, die drängten mich, zum Neurologen zu gehen mit dem Vater und endlich tat ich das auch...
Mein Mann setzte dem keinen Widerstand entgegen.
Er machte die Tests dort, ein EEG, ein CT und der Arzt meinte, seine Ausfälle hingen mit einer Kopfverletzung zusammen, die er als junger Mann mit dem Motorrad erlebt hatte. Medikamente gab es keine .. eine Behandlung auch nicht.. und ich musste immer mehr lotsen, wenn wir unterwegs waren (ich habe keinen Führerschein). Er blieb der liebenswürdige Mensch, der er immer war, aber wurde einfach immer vergesslicher. Ich sah mich nach betreutem Wohnen um; wir schauten uns mehrere Einrichtungen an. Schließlich bekamen wir einen Tipp von einer Bekannten: In einem kleinen Städtchen im bergischen Land war 2001 eine Seniorenwohnanlage eröffnet worden, angeschlossen an ein Altersheim, 24 Stunden Notruf, einige Serviceleistungen ,ansonsten hatte jeder seine eigene Wohnung. Wir fuhren hin, schauten uns alles an, ließen uns Unterlagen geben und wussten, wir hatten unser künftiges Heim gefunden! Allerdings legten wir uns noch nicht fest.. ich hoffte einfach, wir könnten den Umzug noch hinausschieben - wir waren doch so gern in Belgien!
Ende 2002 hatte ich in kurzer Zeit 2 Hinterwandinfarkte... eine schwere OP stand bevor. Da haben wir ganz schnell gehandelt: Wir fuhren hierher, unterschrieben für eine Wohnung, erledigten alle Formalitäten, fanden schnell einen Käufer für unser belgisches Haus.
Mein Mann verstand das noch alles. Konnte selber aber nicht mehr irgendeine Initiative ergreifen, hatte kaum noch irgendeine Alltagskompetenz... Als ich im Krankenhaus war, (und dort 5 Bypässe bekam) kam unsere Tochter aus Südfrankreich mit ihrem Töchterchen und sorgte für ihn. Später kam er für ein paar Tage zu meiner älteren Schwester, die auch in Belgien wohnt. Beide waren ziemlich entsetzt, über seine zunehmende Hilflosigkeit. Ich kam schließlich in die Reha und nahm ihn mit. Zu jeder Behandlung musste ich ihn mitnehmen .. konnte ihn nicht allein auf dem Zimmer lassen oder etwa draußen spazieren lassen..er hätte nicht wieder zurückgefunden. Aber unterhalten konnten wir uns noch...
Der Umzug (von mir im Vorfeld organisiert) wurde auf der belgischen Seite von meiner Schwester, auf der deutschen Seite von unserer jüngsten Tochter organisiert. (Während wir beide in der Reha waren) Im Juni 2003 kamen wir dann hier an... Körperlich ging es ihm noch gut.... besser als mir. Unser neuer Hausarzt überwies ihn zu einem Neurologen... der nach vielen Tests Alzheimer diagnostizierte. Medikamente verschrieb, ebenso Ergotherapie . Mein Schatz machte alles mit. Sein Charakter hat sich bis heute nicht verändert. Aber allmählich wurde es schwieriger. Ich musste auf seine Körperpflege achten... dass er die Kleidung wechselte, konnte ihn nicht mehr allein lassen oder ihn allein spazieren gehen lassen.
Seit 4 Jahren nehme ich Hilfe in Anspruch. Zwei Jahre lang ging er einmal wöchentlich zur Tagespflege; danach zwei Jahre lang zweimal und seit Anfang August 2010 dreimal wöchentlich. Vom hiesigen Pflegedienst wird er seit 4 Jahren zweimal wöchentlich geduscht. Seit Juli diesen Jahres wird jeden Morgen von einer Pflegeschwester die morgendliche Grundpflege gemacht.
Er spricht kaum noch.. lächelt zum Glück viel. Er erkennt fast niemand mehr... hat mich vor Jahren zum letzten Mal beim Namen genannt. Wenn er mich anredet (sehr selten) nennt er mich "Mutti" --- hat er früher nie getan.Er ist wirklich wie ein großes Kind, muss gewindelt werden, getröstet werden, wenn er irrationale Ängste hat. Vor dem Hinsetzen z.B.
Unsere 4 Töchter sind keine Hilfe für mich - nicht wirklich; zwei wohnen in Frankreich... mit denen habe ich hauptsächlich "internetten" Kontakt, zwei wohnen in der Nachbarstadt. Die eine kommt mit der Situation nicht klar und hat jeden Kontakt abgebrochen ..seit 5 Jahren... die andere kommt vielleicht 4 mal im Jahr und steht hilflos davor. Um Hilfe bitten mag ich nicht, bzw. bekomme ja professionelle Hilfe. Aber manchmal bin ich doch ziemlich down...
Deshalb habe ich den Vorschlag einer Internetfreundin in einem kleinen Seniorenforum aufgegriffen und mich in diesem Forum angemeldet. Vielleicht finde ich ja hier Menschen, die meine Situation verstehen und Ähnliches mitmachen. Ich habe gewiss noch Glück, dass er nicht aggressiv geworden ist....

Kommentare

  • Hallo Elisabetta!

    Ich kann Dich nur zu gut verstehen. Mit meinem Mann ist es genauso gegangen nur das er erst 62 ist und garnicht mehr laufen oder sprechen kann.Er liegt fast nur noch im Bett,nur 2xdie Woche, wenn die Ergotherapeutin kommt, bleibt er im Rollstuhl. Er hat starke Spasmen die sie lockert. Danach ist er so fertig das er im Bett sofort einschläft.Mit meinen beiden Söhnen hab ich ähnliche Erfahrungen gemacht . Der eine ist mir eine große Hilfe und unterstützt mich sehr während der Andere mit der Krankheit nicht umgehen kann.
    Ich wünsch Dir viel Kraft.
    LG Trudel
  • Danke liebe Trudel! Da hast Du es noch schwerer! Mein Schatz hat seit drei Monaten auch einen Rollstuhl - aber nur für unterwegs. In der Wohnung braucht er ihn nicht, da führe ich ihn an der Hand - er geht auch schon mal ein kleines Stück selbständig.
    Mit der Hilfe, die ich bekomme, (dreimal wöchentlich Tagespflege und tägliche Morgenpflege durch den ambulanten Pflegedienst) komme ich trotz eigener Beschwerden einigermaßen klar. Nur: ich vermisse meinen lieben, verständnisvollen Partner! Er ist immer noch lieb - aber eben kein Partner mehr........
  • Liebe Elisabetha, ich bin so etwas von erstaund das Du deinen geliebten Mann nicht alleine läßt sondern ihn in deiner gesundheitlichen Situation nicht einmal an Dich selbst denkst. Ich konnte es kaum glauben als ich Deinen Bericht gelesen habe. Die Haltung deiner Kinder verstehe ich! Sie werden mit einer Situation konfrontiert die sie so ohne weiteres nicht akzeptieren können. Allerdings ist die Liebe zu "Dir" auch sehr wichtig. Du nimmst Ihnen nicht den Vater weg wenn Du Dich einmal um Sie kümmerst. Ich glaube Sie warten drauf. Es gibt bei allem "Leid" auch ein Leben für die "Danach" - bzw. den Rest der Familie -.
    Es ist nicht richtig da Du in der "Liebe und Treue" zu deinem Mann "Eure Kinder" vergisst.
    Sie haben noch ein "Leben" und dem solltest du dich so langsam aber sicher anschließen. Glaub mir das ganze Verhalten Eurer Kinder hat nichts aber auch garnichts mit Gleichkültigkeit zu tun.
    Du hast es selbst beschrieben - es ist reine Angst - die Beschäftigung mit dem Tod möchten Sie nicht. Es gibt auch für Dich noch einen Weg
    Du sollst deinen Mann und den Vater deiner Kinder nicht vergessen aber helfe Deinen Kindern ein glückliches Bild Ihres Vaters zu behalten.
    Ich hoffe Du ließt die Nachricht und wünche Dir alles Gute.
    bluemchen
  • Hallo, Elisabetta,
    ich habe auch deinen langen Bericht gelesen. Wie schön, dass dein Mann lächelt! Geniesse es. Mein Mann ist im letzten Jahr gestorben. Auch er war bis zuletzt freundlich und in wachen Momenten charmant und lustig. Grade heute habe ich mir wieder Fotos angesehen, die ich von ihm in dieser Zeit gemacht habe. Heute kann ich sie mir wieder ansehen, ohne dass es schmerzt. Ich habe zwei Söhne, für die es sehr schwer war, den Vater zu verlieren.
    Sorge gut für dich selber! Wenn es dir gut geht, profitieren alle davon. Du machst das prima!
    Liebe Grüße
    giga
  • Liebe Elisabetta,

    ich habe Deinen Beitrag auch gelesen und kann gut verstehen, dass Du Dich ab und zu sehr traurig und down fuehlst.

    Es ist eine Sache, die Situation und die erforderliche Hilfe zu organisieren (und das hast Du ja nun wirklich supergut hingekriegt), aber ab und zu weint das Herz trotzalledem. Ich glaube, die Tatsache. dass Dein Mann immer noch laechelt, ist ein Hinweis darauf, dass Ihr eine grossartige Liebe und ein wunderbares Leben teilt und auch, dass Du eien Situation geschaffen hast, die es ihm erlaubt, ein wuerdiges Selbstgefuehl zu wahren. Ich kann Giga nur zustimmen: Du machst es prima! ... und bist gebildet und ehrlich genug, zuzugeben, dass sich die ganze Situation trotzdem oft schlecht und traurig anfuehlt.

    Bluemchens Meinung teile ich persoenlich nicht, und ich finde auch, es ist etwas weit vorgewagt, Dir zu sagen, was Du mit Deinen Kindern falsch machst.

    Bluemchen: Ich weiss nicht, ob man Deine Aussagen so als allgemeingueltig nehmen darf. Ich bin ein Kind und habe einen Bruder, der auch Kind ist. Er hat den Kontakt abgebrochen, mit der Begruendung, dass er es die Situation nicht ertragen kann. Ich glaube, der wirkliche Grund ist, dass die Hilfe und Sorge fuer einen geliebten Menschen mit einer Demenzerkrankung keine "oeffentlichen" Punkte sammeln.

    Lange Rede. Kurzer Sinn: So, wie jeder Mensch, trotz Demenz einzigartig und einmalig ist, so ist auch jeder Mensch, der damit umgeht oder eben auch nicht, einzigartig. Ich galuebe nicht, dass man die Beweggruende Deiner Kinder auf alle anderen Kindern einfach pauschal uebertragen kann ... und dann auch ableiten darf, dass Elisabetta irgendetwas falsch macht. Ich denke, sie kennt Ihre Kinder besser als Du, meinst Du nicht?

    Elisabetta: Wenn Du Lust hast zu schreiben, wuerde ich mich sehr dafuer interessieren, zu erfahren, wie Du die Entscheidung, in das betreute Wohnen umzuziehen, mittlerweile beurteilst. Ausserdem wuerde mich auch interessieren, wie Du die Haltung Deiner Kinder siehst.

    Liebste Gruesse
    Nenna
  • Ich danke Euch für Eure Beiträge und lieben Kommentare.
    Zitat Bluemchen:
    "Es ist nicht richtig da Du in der "Liebe und Treue" zu deinem Mann "Eure Kinder" vergisst.
    Sie haben noch ein "Leben" und dem solltest du dich so langsam aber sicher anschließen. Glaub mir das ganze Verhalten Eurer Kinder hat nichts aber auch garnichts mit Gleichkültigkeit zu tun."

    Ich vergesse unsere Kinde sicher nicht... Wie ich ja schon schrieb, habe ich mit den beiden Töchtern, die in Frankreich wohnen, einen regen Kontakt übers Internet (MSN, Mail) oder auch Telefon. Und wenn ich so richtig down bin, bekomme ich da auch schon Zuspruch, der mir hilft. Ansonsten interessiere ich mich sehr für sie und ihre Familien, sehe sie aber eben sehr selten, da sie so weit entfernt wohnen.
    Die älteste war vorigen Monat kurz da mit einer ihrer Töchter. Das war ein Wiedersehen nach 5 Jahren! Es war schön, und wir hattten auch den Eindruck, dass Bernhard sie entweder wiedererkannte oder zumindest sich über ihre Anwesenheit freute.
    Gestern war unsere zweitälteste Tochter spontan für einige Stunden da; sie wohnt in der Nachbarstadt und das war das vierte Mal in diesem Jahr, dass sie bei uns war. Sie ruft manchmal an. Sie hat mit Beruf und Tochter und ihrem Leben im allgemeinen viel um die Ohren und wir kommen da nicht unbedingt an erster Stelle. WENN sie hier ist , ist sie sehr liebevoll zu ihrem Vater und versucht, auch für meine Situation Verständnis aufzubringen, so wie auch ich ihr zuhöre, wenn sie über ihre Lebenssituation spricht.
    Die Jüngste hat sich wie gesagt ohne irgendeine Begründung ganz von uns zurückgezogen, war vor 5 1/2 Jahren das letzte Mal hier. (Sie wohnt nur 10 Autominuten entfernt!) Gegenüber meiner Schwester sagte sie einmal:"Ich kann damit nicht umgehen ... das ist nicht mehr mein Vater!"

    @ Nenna:
    Den Umzug in diese Seniorenwohnanlage, genannt "Wohnen mit Service" habe ich noch nicht bereut. Nun wohnen wir mehr als 7 Jahre hier. Ich bekomme die Hilfe, die ich benötige, habe so viel Kontakt, wie ich möchte, kann mich in unsere eigenen vier Wände zurückziehen, wenn mir danach ist.
    Es gibt Angebote der verschiedensten Art, viel Raum für Eigeninitiative. Durch die Nähe des Altenheims gibt es zusätzliche Sicherheit und dass der ambulante Pflegedienst dort auch sein Büro hat , ist ein Plus. Wenn man sie mal unverhofft braucht, sind sie ganz schnell da.
    Wünsche euch allen eine weiteren goldenen Oktober!
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