Recht auf Verwahrlosung?

Guten Morgen!
Seit 15 Jahren wohne ich neben meiner inzwischen 89jährigen, ganz alleinstehenden Nachbarin und kümmere mich um sie. Vor ca. 6 Monaten wurde bei ihr eine Alzheimer Demenz diagnostiziert, sie bekam den Pflegegrad 2, und ich übernahm die Pflege, d.h. Medikamentengabe, Körperpflege, einkaufen, Fahrten zu den Ärzten, kochen und Küche und Bad reinigen! Sie hat früher an sämtlichen Kaffefahrten teilgenommen und pausenlos gekauft, die Wohnung ist zugestellt mit Krims und Krams, täglich geht bergeweise Post von Händlern etc. ein. Alles wird aufgehoben, die gesamte Wohnung gleicht einer Messi-Behausung. Ich darf nichts anfassen oder gar entsorgen. Sie insistiert, alles selbst machen zu wollen, „wenn es ihr wieder besser geht!“ Ich machte mir einen Termin bei einer Pflegeberatung und mir wurde mitgeteilt, der Mensch habe „ein Recht auf Verwahrlosung“!!! Sie hat einem weiteren Bekannten alle Vorsorge- und Betreuungsvollmachten erteilt, verweigert aber jegliche Diskussion über Umzug in ein Pflegeheim, und er traut sich nicht, da bestimmend einzugreifen! Er ist Erbe, kommt alle paar Tage vorbei und bringt den Müll runter!
Sie beginnt, mir gegenüber aggressiv zu reagieren und steht pausenlos hinter mir, wenn ich irgend etwas aufräumen will! Es ist zum Verzweifeln, meine Nerven sind so ziemlich am Ende und ich möchte am liebsten aufgeben! Was kann ich tun?

Kommentare

  • Hallo Gila,

    es ist toll, dass Du dich um Deine Nachbarin kümmerst und die Pflege und praktische Versorgung übernimmst.
    Aber ganz ehrlich: Wenn Du dich so sehr belastet fühlst, musst Du das doch nicht mehr machen. Man darf und muss Grenzen ziehen.

    Leider gibt einem die Pflege erst mal eine Verpflichtung, aber keine Bestimmungsrechte.
    Dazu ist der Betreuer da, und nachdem es nun schon einen Verwandten gibt, der diese Rechte und PFLICHTEN hat, sich um Entscheidungen zu kümmern, die Deine Pflegeperson nicht treffen kann und Du nicht treffen darfst, dann soll er das auch tun.

    Die jetzige Situation ist natürlich extrem bequem für ihn: Eine NACHBARIN, die sich um die Pflege und Versorgung kümmert! Etwas besseres gibt es kaum, wenn man nicht von eigenen Angehörigen gepflegt werden kann, die im selben Haushalt wohnen.

    Aber es kann nicht sein, dass Du dich aufreibst, und alle anderen auf Deine Kosten profitieren und den immer belastenderen Status quo aufrecht erhalten.

    Das Messietum ist allerdings eine schwierige Situation. Aber es stimmt, rein rechtlich hat jeder Mensch das Recht auf "Verwahrlosung". Das ist natürlich ironisch formuliert, und gemeint ist, dass man niemandem seinen eigenen Willen, Geschmack und Hygienestil aufzwingen darf, solange von der Unordnung und Sammelwut keine Gefährdung für die Person (Finanzen, Gesundheit) oder für andere ausgeht. Z.B. Schimmelbildung in der Wohnung, gammelnde Müllreste und Schlimmeres.

    Aber der rechtliche Betreuer oder die Person mit Vorsorgevollmacht muss hier abwägen, was der Person gut tun würde und entsprechende Schritte einleiten. Es gibt zahlreiche Beratungsstellen, wo er sich Tipps holen kann. Er darf nicht deshalb passiv bleiben, weil er den Konflikt und die Entscheidung scheut.

    Meine Mutter konnte auch nichts wegwerfen, jede Oberfläche, alle Schränke und jede Nische des Hauses waren vollgestellt. Ich habe oft heimlich die Prospektestapel und Kataloge und anderes entsorgt. Sie hat es gar nicht mitbekommen. Mit fortschreitender Demenz hatte sie auch die Kontrollwut verloren und ich durfte endlich ausmisten. Ich habe versucht, sie bei allen Entscheidungen mit einzubeziehen und sie Abschied nehmen zu lassen, was natürlich zeitraubend war. Später habe ich aber die meisten Entscheidungen selbst getroffen, weil meine Mutter dazu offensichtlich nicht in der Lage war. Aber dieses Vorgehen würde ich Dir nicht raten. Darum soll sich der Betreuer kümmern, denn der DARF entscheiden.)

    Wenn es doch gefährlich wird, könntest Du allenfalls das Betreuungsgericht bitten, die Situation zu überprüfen.

    Aber überlege nochmals, ob es wirklich so schlimm ist mit dem Zustand der Wohnung. Viele aus der Generation, die den zweiten Weltkrieg, womöglich Flucht, und die Jahre der Entbehrung erlebt hat, können nichts wegwerfen. Damals gab es nichts zu essen und nichts zu kaufen. Die Läden waren leer, die Mägen auch. Und das hat sich bei vielen aus dieser Generation total verinnerlicht. Bevor etwas weggeworfen wird, muss man sich das ja nochmal anschauen und prüfen, ob man es nicht doch noch braucht, oder nochmals vergleichen, was es in der letzten Woche für Sonderangebote gab.
    Die Demenz verschlimmert das oft, denn die Menschen merken, dass ihnen die Übersicht und Entscheidungsfähigkeit abhanden kommt. Daher können sie auch keine alten Kataloge wegwerfen etc.
    Argumente bringen meistens nichts, denn das Lebensgefühl ist so völlig verschieden von unserem.

    Zurück zur akuten Situation: Wenn DU es nicht mehr aushälts, brauchst Du kein schlechtes Gewissen zu haben, wenn Du eine Änderung der Pflege verlangst. Der Verwandte mit Betreuungsrecht/Vollmacht muss sich um eine adäquate Versorgung kümmern und notfalls einen Pflegedienst organisieren.

    Vielleicht kommt dann Bewegung in die ganze Sache, denn die Koordination von ambulanter Versorgung und Pflege ist enorm aufwändig.

    Manchmal kann man die Situation entschärfen durch Validierung: Bestätigung und Lob für alles, was gut läuft, und großzügiges Hinwegsehen über die Dinge, die nicht so gut laufen,die aber nicht so wichtig sind. Es ist wichtig, dass alle Beteiligten entspannt bleiben, denn die Maßstäbe sind in einer Pflegesituation andere als beim eigenen Haushalt.

    Ganz gute Tipps im Umgang mit schwierigen Situtationen gibt es auch im Demenz- und Pflegeforum des Bundesministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Jugend.Hier antworten auch Experten.
    https://www.wegweiser-demenz.de/weblog-und-forum/rat-im-internetforum.html

    Alles Gute
    Sanya
Anmelden oder Registrieren, um zu kommentieren.