Mir ist unwohl im Pflegeheim

Hallo,

dies hier zu schreiben fällt mir nicht leicht, da es wohl in gewisser Weise ein Tabuthema ist und viele sagen werden: Wie kann sie nur???, aber ich bin mir sicher, dass es Angehörige gibt, die ähnlich empfinden, wenn sie ehrlich sind.
Meine Mutter ist seit knapp zwei Wochen in einem Pflegeheim für Demenzkranke, also noch in der Eingewöhnungsphase (schrieb ich gestern bereits).
Mein "Problem" ist, dass ich mich dort nicht lange aufhalten kann.
Ich ertrage es nicht, mit anderen Bewohnern und Angehörigen in einem Raum zu sein. Und in ihrem Zimmer liegt meistens ihre Bettnachbarin. Es gibt dort überhaupt keine Privatsphäre und ich bin schon ziemlich soziophob veranlagt.
Es ist mir peinlich und ich schäme mich, aber genau das ist einer der Gründe, weswegen ich jetzt im Winter, wo man nicht raus in den Garten kann und es abends nach meinem Feierabend um 18:00 dunkel und kalt ist, meine Mutti nicht öfters besuche.
Im Sommer, wenn es länger hell ist und man raus kann, werde ich dies auf jeden Fall ändern, denn ich kann von meiner Arbeit aus bequem zu Fuß dorthin laufen.
Ich bin kein Unmensch und nehme meine Mutter so oft ich kann am Wochenende mit zu mir, aber ich kann mich dort einfach nicht aufhalten.
Wie empfindet Ihr das Zusammensein mit fremden Leuten auf engem Raum in einem Pflegeheim?
Und mit was beschäftigt Ihr Euch dann?

Es grüßt,
Silke

Kommentare

  • Hallo Silke,
    warum sollte das ein Tabuthema sein? Ich finde die Frage wichtig und Sie schreiben doch nichts Schlimmes. Meine Mutter lebt auch in einem Pflegeheim gemeinsam in einem (sehr großen) Zimmer mit einer anderen Dame. Meine Mutter ist sehr stark dement, die andere Dame nur wenig, aber bereits 102 Jahre alt und daher gebrechlich. Ich kenne alle Bewohner der Station und auch die Angehörigen, sofern diese zu der Zeit kommen, in der ich auch da bin. Ich bin jeden Abend da, kann wie Sie auch vom Bahnhof einfach dorthin vorbeilaufen, ehe ich heim gehe. Ich kenne einen Angehörigen, dem es genauso geht wie Ihnen. Oft treffe ich ihn unserer Kleinstadt am Abend und er sagt mir, dass er versucht hätte, zu seiner Frau zu gehen, aber er hätte umkehren müssen, weil er es einfach nicht schaffen würde. Schon wenn ich das Gebäude sehe, kann ich nicht mehr, sagt er dann. Für ihn ist es eine Erleichterung, wenn er mit mir sprechen kann, also mit einem anderen "normalen" Menschen, der noch einigermaßen seine Lebenswelt teilt. Wir reden dann über Musik, da wir beide gerne in Konzerte und so gehen. Wenn er nicht da ist, dann rede ich mit den Bewohnern, die das wollen und das sind nur ganz wenige: eine Frau, die sich gerne modisch anzieht, eine Frau, die französisch spricht (kann das Pflegepersonal nicht bzw. nur eine dort), einem jüngeren Mann, der Demenz nach Parkinson hat und einem Mann, der früher Maler war. Wenn das alles nicht klappt, dann räume ich die Tische ab, räume die Spülmaschine ein und so. Da ich den ganzen Tag am Rechner sitze (bin Projektleiterin in der IT), kommt das meinem Drang nach Ordnung zu Gute. Manchmal koche ich eine Suppe für alle, weil meine Mutter das früher gern gegessen hat. Für mich ist es schön, wenn ich meine Mutter dort gut versorgt sehe. Manchmal weine ich, wenn ich sie in einem Kleidungsstück sehe, das sie früher in ganz anderen Situationen getragen hat. Dann wünsche ich mir, sie würde noch einmal aufstehen und mit mir sprechen. Aber das wird nicht passieren. Ich habe akzeptiert, dass das ihr Weg ist, aus diesem Leben zu gehen. Und nichts, was da passiert, ist mir fremd oder unangenehm, weder die Geräusche, Gerüche, das wirre Reden. Meinem Mann aber geht es wie Ihnen. Er kann oft nicht mitkommen und ist nach einem Besuch sehr nachdenklich u traurig. Er leidet, wenn er sieht, wie vergänglich ein Menschenleben ist.
    Was mich mehr stört ist, dass viele der Mitbewohner sehr neidisch reagieren, wenn ich komme. Das finde ich schade. Vielleicht bekommen sie weniger Besuch, keine Ahnung. Ich versuche aber, mich sehr zurückzuhalten und lehne auch ab, wenn das Pflegepersonal mir zuerst das Essen für meine Mutter geben will und verlange, dass sie die Reihenfolge einhalten und zuerst die anderen bedienen. Meine Mutter kann nicht mehr selbst essen und liegt am Abend schon im Bett, daher gebe ich ihr das Essen dann.
    Meine Mutter war immer ein geselliger Mensch und freut sich, wenn jemand kommt. Sie war nie gern allein. Jetzt lebt sie eh in einer anderen Welt, zu der ich keine Zugang mehr habe. Gibt es im Zimmer Ihrer Mutter keinen Wandschirm oder so, dass man zumindest den eigenen Bereich etwas abtrennen kann?
    Ich finde nicht, dass Sie sich schämen müssen für Ihre Aussage. Sie haben gut und mitfühlend über Ihre Mutter geschrieben und kümmern sich um sie. Lassen Sie sich bloß von keinem Vorhaltungen machen. Dazu ist niemand berechtigt. Und Ihrer Mutter hilft es nicht, wenn Sie sich deswegen grämen. Viele Grüße und alles Gute!
  • Hallo Silke,
    erst einmal hoffe ich, dass sich die Situation für dich bald ändern wird, vielleicht gewöhnst du dich noch daran. Das Thema hier anzusprechen, finde ich wichtig, und auch, wenn ich nicht viel dazu sagen kann, möchte ich dir antworten.
    Meine Mutter ist seit zweieinhalb Jahren in einem Heim und bei meinen Besuchen gibt es gute und schlechte Tage. Am Anfang fiel es mir oft sehr schwer wieder zu gehen und zu wissen, dass sie bleiben muss. So unwohl wie ich, musste sie sich auch fühlen und sie konnte nicht einfach wieder weg. Mit diesen vielen fremden Menschen, in einer fremden, unwohnlichen Umgebung, ohne etwas zu tun zu haben und ohne zu verstehen, warum aus einem Haus in ein kleines Zimmer mit einer ebenfalls fremden Person... Das hat mir lange sehr zu schaffen gemacht. Auch, weil sie sich durch die Mitbewohnerin im Zimmer sehr gestört fühlte.
    Da meine Mutter auch dement ist (deshalb konnte sie nicht mehr alleine wohnen), durfte sie auch nie alleine das Heim verlassen und wurde immer vom Personal daran gehindert. So wurde es zur Gewohnheit, dass wir gemeinsam raus gegangen sind, damit sie etwas Bewegung hat und an die frische Luft kommt. Zunächst noch mit Rollator, jetzt schiebe ich sie im Rollstuhl. Auch jetzt im Winter sind wir immer zusammen draußen, mindestens für eine halbe Stunde. Nur wenn es zu arg regnet, bleiben wir drinnen.

    Ich habe zwar die Möglichkeit, tagsüber bei meiner Mutter zu sein, aber ich möchte dir dennoch ans Herz legen, noch einmal darüber nachzudenken, ob es nicht doch möglich ist, kurz gemeinsam rauszugehen. Das tut gut und lockert die Atmosphäre. Ich weiß nicht, wie gut deine Mutter zu Fuß ist, aber könnt ihr, wenn schon nicht in den Garten, nicht ein wenig die Straße lang laufen? Auch wenn es kalt ist. Mit dem An- und Ausziehen hast du schon eine kleine Beschäftigung mit deiner Mutter und musst dich gar nicht an den anderen Bewohnern stören.

    Nach unserem Spaziergang sitze ich mit meiner Mutter meist in ihrem Zimmer, sie isst das Obst, dass ich ihr mitbringe und wir schauen gemeinsam aus dem Fenster und beobachten die Leute. Früher haben wir uns dann unterhalten, ich hab von meiner Familie erzählt und wir haben Erinnerungen ausgetauscht, zusammen Fotos angeschaut, ein Spiel gespielt (Mensch ärgere dich nicht) oder sind gemeinsam durch das Heim gelaufen. Heute geht das so nicht mehr, da meine Mutter nicht mehr spricht und ich nicht gut damit klar komme, den Alleinunterhalter zu machen. Also rede ich auch nicht mehr so viel und unsere Beschäftigungen sind etwas anders. Da sie jetzt im Rollstuhl sitzt, laufen wir auch nicht mehr durchs Heim. Ich habe ihr ein Mandala-Ausmalbuch und Stifte mitgenommen, da malen wir manchmal gemeinsam aus oder ich lese ihr Gedichte vor, manchmal nehme ich den CD-Recorder mit und wir hören eine CD von ihr (alte Schlager), oder sie bekommt ein wärmendes Handbad (sie hat immer kalte Hände) und ich massiere ihr dann eine gute Handcreme ein oder ich kämme ihr intensiv die Haare, weil sie das früher so gern mochte. Natürlich passiert das immer unter Beobachtung, wenn die Mitbewohnerin auch im Zimmer ist. Aber ich habe versucht mir anzugewöhnen, nicht darauf zu achten.

    Ich denke, wenn du den Kontakt mit den anderen Bewohnern nicht vermeiden kannst, solltest du dich einfach ganz auf deine Mutter konzentrieren und auch wenn es gemein klingt, einfach nicht auf die anderen reagieren. Ich versuche auch immer mit den anderen Bewohnern zu reden oder mal was zu helfen, aber in erster Linie bin ich dort, wegen meiner Mutter und um die kümmere ich mich, wenn ich da bin. Da muss man manchmal auch ignorieren, dass ständig jemand "Hallo" ruft und was von einem will. Ich denk mir dann immer, dafür ist das Personal da und sage Bescheid, dass jemand Hilfe braucht.

    Grundsätzlich kann man dem aber nicht ganz aus dem Weg gehen, mit den anderen Bewohnern zusammen zu stoßen. Am Anfang habe ich mich manchmal mit dazu gesetzt, wenn meine Mutter gerade im Aufenthaltsraum mit den anderen saß. Aber da habe ich mich auch sehr unwohl gefühlt (es war auch eigentlich nie genug Platz für alle) und wollte immer nur wieder weg. Ich habe mich dann nicht mehr mit dazu gesetzt sondern meine Mutter einfach mitgenommen. Da es mehrere Aufenthaltsräume gibt, hatten wir manchmal das Glück, dass wir mal ein bisschen alleine sitzen konnten. Frag doch mal beim Personal, ob es nicht einen Raum gibt, wohin ihr gehen könnt. In unserem Heim sind auch Sitzgelegenheiten auf dem Flur, da hat man manchmal mehr Ruhe als im eignen Zimmer.

    Bei euch ist ja alles noch ganz frisch und ihr müsst erst einmal schauen, wie der Heimalltag zu händeln ist. Das ist ja in der ersten Zeit alles noch neu und fremd, auch für dich. Warum läufst du nicht ein wenig mit deiner Mutter an den Zimmertüren vorbei und ihr lest zusammen, wer wo wohnt (bei uns stehen die Namen an den Türen). So kann deine Mutter auch gleich die Bewohner etwas "kennenlernen" und es fühlt sich vielleicht für sie beim nächsten Mal schon vertrauter an. Hast du vielleicht ein Haustier, das du mal mitnehmen könntest (da würde ich im Heim fragen, bei uns ist das kein Problem)?

    Manchmal kostet es mich auch viel Überwindung, aber ich habe jetzt einen festen Rhythmus bei meinen Besuchen, das hilft mir sehr. Ich verstehe sehr gut, dass es dir schwer fällt, so ein schlimmes Gefühl der Enge hatte ich zum Glück nie, aber an deiner Stelle würde ich lieber öfter und dafür nicht so lange hingehen. Wenn du direkt von der Arbeit kommst, kannst du ein paar Schritte mit deiner Mutter gehen (draußen oder drinnen) und ihr von deinem Tag erzählen und dann kannst du auch schon wieder gehen. Aber du warst da und sie fühlt sich nicht alleine oder vergessen. Ich denke, dass gerade bei demenzkranken Menschen die ständige Präsenz wichtig ist und in der Eingewöhnungsphase wird ihr das Sicherheit geben.

    Ich wünsche dir viel Kraft auf deinem Weg, deine Mutter in ihrem Heimleben weiter zu begleiten und sende ganz viele Grüße!
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