Und wo bleibe ich?

Hallo,

ich möchte von mir erzählen, denn ich habe meiner Meinung nach in meinem Leben schon mehr als mir gut tut Pflege geleistet.

Unsere jüngste Tochter wurde 1980 mit angeborener Querschnittlähmung geboren. Ich pflegte sie 18 Jahre, bis sie zur Ausbildung in ein Internat kam.

Anfang dieses Jahrtausends pflegte ich dann noch ein paar Jahre meine Pflegemutter.

Nebenbei "litt" ich unter der Alkoholkrankheit meines Mannes, der schon trank, als wir uns 1968 kennenlernten. Seit zehn Jahren ist er trocken und die ersten trockenen Jahre waren wunderschön.

Da ich aus der nassen Zeit Ver-rückheiten von ihm kenne, hielt ich sein ver-rücktes Verhalten für "Trockenräusche", wie die Anonymen Alkoholiker das nennen.

Die letzten drei Jahre ist seine Wesensänderung und auch sein Tun sehr verändert. Der Hass und die unbegründeten Rachehandlungen mir gegenüber steigern sich extrem. Auch seine Freunde kommen nicht mehr an ihn ran.

Ich war inzwischen schon so ausgebrannt, dass ich im Oktober/November sechs Wochen zur Kur fahren durfte.

Letzten Sonntag unterhielt ich mich mit einer Freundin über sein Verhalten. Bei dem Gespräch war der Chefarzt der Klinik, in der mein Mann die Alkoholtherapie gemacht hat, dabei und er sagte: "Das hört sich nach Alzheimer an!"

Ich weiß, dass ich keine Reserven mehr habe, für meinen Mann mit dieser Krankheit da zu sein.

Ich kann ?noch? keine Lösung sehen.

In mir kämpft das, was ich wahrnehme, gegen die Einstellung "so schlimm ist es doch ?noch? gar nicht".

Kommentare

  • Hallo,

    heftig, dein Bericht. Was antwortest du dir denn selber auf deine Frage, wo du selber bleibst?

    Ich weiss nicht, wie alt du bist, aber ich kann mir vorstellen, dass deine Reserven wirklich aufgebraucht sind.

    Ich wollte es anfangs auch nicht wahrhaben, dass das Verhalten meines Mannes nicht zum normalen Alterungsprozess gehörte. Habe mir lange was vorgemacht, bis es absolut nichts mehr half, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Mein Mann hat auch Alzheimer und die schlimmste Zeit für mich war die, in der ich versucht habe, diese Wahrheit vor mir und anderen zu verbergen.

    Meine ganzes Denken kreiste nur noch um ihn, immer bemüht, nach Anzeichen zu suchen und sie andererseits auch wieder zu entschuldigen.

    Als wir die Diagnose bekamen, und für den geschulten Arzt war es innerhalb von Minuten klar, dass es Alzheimer ist, war das zwar heftig, aber einiges wurde dadurch auch leichter und klarer.

    Ich musste in kürzester Zeit völlig umdenken, und wir beide haben dadurch wertvolle Zeit gewonnen, Zeit für uns.

    Alles Gute für euch,

    Gitta
  • Liebe Gitta,

    danke für deine Antwort.

    Es stimmt, dass schon das Eingeständnis befreit. Ich merkte schon zwei Tage nachdem der Professor seinen Verdacht geäußert hat, dass ich mich wieder beweglicher fühle.

    Ich (60 Jahre)stamme aus "verstrickten" Familieneverhältnissen, wo also jeder für den anderen da war und sich selbst vernachlässigte. Das zu erkennen und zu ändern, lerne ich seit 1991 und kann es heute gut.

    Und jetzt muss ich wieder anfangen, für einen anderen mitzudenken, ihn zu manipulieren?

    Andere schaffen das auch, aber ich muss erst mal meinen Wunsch nach einem eigenständigen Mann loslassen.

    Da merke ich, dass ich doch noch "Erwartungen" an meinen Mann und unser Leben hatte.
    Da ich aber Selbsthilfegruppenerfahrung seit 1980 habe, weiß ich, wie wertvoll dazu das Aussprechen meiner Gedanken ist.

    Wir haben vor Ort einen Gesprächskreis für Angehörige. An die Leiterin werde ich mich nächste Woche wenden.
    Solange ich es mir nicht eingestanden hatte, redete ich mir ein, dass es den Angehörigen, die dort hingehen, ja viel schlechter geht als mir und ich ihnen mit meinen ?noch? so kleinen Problemen nicht ihre wertvolle Zeit stehlen möchte.

    Einen lieben Gruß

    Ille
  • Hallo, Ille,
    das klingt gut. Jetzt kommt etwas in Bewegung.

    Ich denke nicht, dass du deinen Mann "manipulieren" sollst. Das hat immer so einen negativen Beigeschmack. Ja, Mitdenken trifft es da besser.

    Und den Wunsch nach einem eigenständigen Mann kann ich sehr gut verstehen. Grade nach dem, was ihr zusammen durchgemacht und geschafft habt, wäre es jetzt schön, wenn ihr das zusammen auch geniessen könntet.

    Ja, nun ist deine ganze Kraft gefragt, und du trägst die Verantwortung für euch beide. Das heisst aber auch, dass du jede Hilfe in Anspruch nehmen solltest, die sich dir bietet.

    Zu den Gesprächskreisen wollte ich nie, obwohl ich auch Adressen in der Nähe hatte. Ich hatte immer die Sorge, dass mich das total runterziehen könnte. Ich habe mir einen anderen Kreis von Frauen aufgebaut, mit denen ich auf einer anderen Basis sehr viel unternehme und das Thema Alzheimer völlig ausblenden kann. Mir tut das sehr gut. Mein Mann wohnt seit einem Jahr in einem Pflegeheim, dass ich in ein paar Minuten zu Fuß erreichen kann.

    Ich werde in diesem Jahr 53 und habe noch viel vor!

    Genieße den Tag

    Gitta
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