Vater erkennt die eigene Wohnung nicht und will nach Hause
Mein Vater hat vor einem Jahr die Alzh.Dem.Diagnose erhalten. Er wohnt mit meiner Mutter zusammen in der eigenen Wohnung. Seit Weihnachten hat sich die Situation verschlimmert und es sind immer mehr Abende, an denen er nach Hause zu seiner Frau möchte, obwohl er ja mit ihr in seinem zuhause sitzt. Manchmal bekommen wir es durch Ablenken, ihn zum Erzählen bringen, Fotoalben schauen, gedreht. Aber meine Mutter hat jetzt schon am Nachmittag große Angst vor dem Abend und ist nervlich ziemlich am Ende. Er will dann weg, zieht sich an und hat gestern auch zum ersten Mal die Wohnung verlassen, als sie ein paar Minuten im Bad war. Hat jemand da Erfahrung, wie man so einer Situation begegnen kann. Er ist dann tlw. nicht zu halten und steigert sich total hinein und wird immer nervöser. Vielen Dank für jeden Tipp.
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Kommentare
bei meiner Mutter ist es ähnlich:
sie will immer wieder heimfahren (befindet sich aber Zuhause), zieht sich Mantel, Mütze und Stiefel an und möchte endlich nach Hause, gelegentlich nennt sie eine Adresse, unter der sie als Kind gewohnt hat (die es natürlich schon längst nicht mehr gibt) und will dort hinfahren.
Manchmal "verfalle" ich natürlich auch in die übliche Erklärung: Du bist doch hier Zuhause ... usw, aber das hilft nicht wirklich. Es geht dann sehr schnell wieder von vorne los und wird sehr anstrengend.
Ich probiere seit kurzem neue Varianten aus, die meistens ganz gut funktionieren:
Ich antworte beruhigend zum Beispiel: "Wir bleiben jetzt alle noch ein bisschen (oder eine halbe Stunde) hier und fahren nachher gemeinsam heim. Ist das in Ordnung für Dich?" Manchmal schiebe ich es auch auf das Wetter, warum wir noch etwas bleiben (so viel Regen, Schnee.. hier ist es schön warm und gemütlich. Da könnten wir doch noch etwas bleiben.
Oder auf die drängende Frage, wann wir jetzt ENDLICH heimfahren (meine Mutter denkt, dass wir seit vielen Wochen im Urlaub sind):
"Ich bringe Dich morgen früh um 10 Uhr heim. Heute bleiben wir noch hier. Denn hier ist es ja wirklich schön, oder!?
Ich wiederhole in solch kritischen Situationen immer wieder laut, wo wir uns gerade befinden: "Wir sind hier ja hier Zuhause in der XY-Stadt, im Stadtteil, in der XY-Straße (meine Mutter kennt ihre Adresse noch).
Oder ich antworte einfach:" Das Gute ist ja, dass hier ja schon Eure schöne Wohnung ist in der XX-Straße Nr ... in der X-Stadt. Und das hier wohnst Du mit Deinem Ehemann ..." und dann beschreibe ich die Wohnung, die Zimmer. Meine Mutter antwortet dann manchmal dann: "Das weiß ich doch, wo ich wohne." Und dann "lobe" ich sie dafür oder bestätige das Ganze positiv.
Das sich nicht mehr zurechtfinden in der eigenen Wohnung, tritt auch bei meiner Mutter häufiger auf. Hier haben wir schon die Wohnung gemeinsam "neu erkundet": lass uns doch mal schauen, wo hier Dein Bett steht...." Ich formuliere das immer positiv (im Sinne des neuen Entdeckens)
Oder ich "stelle ihr die Wohnung neu vor" und ich führe sie zu dem Zimmer, das sie gerade nicht mehr findet.
Vielleicht hilft das weiter!? Ich freue mich über Feedback oder auch andere Ideen, wie man damit umgehen kann!
ich erinnere mich an eine gute Alzheimer-Bekannte, die als über 80-jährige mit der Bahn quer durch die halbe Schweiz (!) reiste um - aus ihrer Sicht - an einem Treffen mit ihren Schulkameradinnen teilzunehmen. Die entsprechende Adresse hatte sie noch im Kopf. Nach der Bahnfahrt ging sie im strömenden Regen auf der Strasse, bis sie - völlig durchnässt und verwirrt - von einem Autofahrer mitgenommen und an die Polizei weitervermittelt wurde…
Das „Ich will nach Hause“-Phänomen tritt regelmässig bei Alzheimer-Demenz auf und lässt sich, etwas salopp ausgedrückt, damit erklären, dass die Zeit bei den Betroffenen „rückwärts läuft“. Eine verkehrte Zeitmaschine sozusagen - wie wenn du bei einem Tagebuch von hinten angefangen die Seiten rausreisst und damit die Erinnerung, von hinten angefangen, auslöscht.
Das bedeutet: Für den fortgeschrittenen Alzheimer-Betroffenen ist die aktuelle meist eine fremde Unterkunft, in der er sich momentan befindet.*
Ein Beispiel: Wohnte eine betroffene Person als Kind in München, von 20 bis 40 in Hamburg, von 40 bis 60 in Bonn und von 60 bis jetzt in Mannheim, so kann, je nachdem in welchem Zeitfenster sie sich gerade befindet, die „aktuelle Adresse“ aus ihrer Sicht eben Mannheim (Zeitfenster 60 Jahre bis jetzt), Bonn (Zeitfenster 40 bis 60 Jahre), Hamburg (Zeitfenster 20 bis 40 Jahre) oder München (Zeitfenster Kind bis 20 Jahre) sein.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, ist das Verhalten eher nachvollziehbar. Sie machen es keinesfalls absichtlich, es ist die Krankheit, die sie so machen lässt. Leider!
Ich denke, dass ihr mit eurem verständnisvollen Verhalten euren Betroffenen eine faire „Lösung“ bietet, die Konflikte eher klein haltet und so manchem Frust, Unverständnis und vielleicht sogar Aggressionsverhalten ausweichen könnt.
Liebe Grüsse und gutes Gelingen weiterhin
Herbschill
* Siehe auch Filmdokument „Der Tag, der in der Handtasche verschwand“ von Marion Kainz. (You tube, Beschreibung auch auf Wikipedia)