Wie ist/war das bei euch?
Hallo,
bisher habe ich ab und an hier still mitgelesen, doch nun möchte ich auch etwas schreiben. Mein Vater (71) ist an Demenz erkrankt. Im vergangenen Jahr ist es schlimmer geworden, sodass er bei der Bewältigung seiner letzten Aufträge (er war selbstständig tätig) Hilfe brauchte. So sind meine Mutter, ich oder ein Freund der Familie mit ihm gefahren, da er zwar seine Arbeiten noch gut erledigen konnte, jedoch die Kundenadressen nicht mehr gefunden hat. Es war ihm sehr wichtig, die Aufträge noch abzuarbeiten, bevor die Firma abgemeldet wird. Diesen Wunsch haben wir ihm natürlich erfüllt.
Ich nenne Papas schlimmere Phasen immer "Schübe". Außerhalb dieser Schübe ist er normal, fast wie immer. Vergisst halt sehr viel. In seinen Schüben erkennt er Mama nicht mehr, mich nicht mehr, sein Zuhause nicht mehr und möchte weg. Mal nach Österreich, wo er ursprünglich her kommt, mal zu einer Adresse, wo er seit über 20 Jahren schon nicht mehr lebt, mal an einen Ort, wo er nur gearbeitet, aber nie gelebt hat. Diese Schübe sind für meine 78 Jahre alte Mutter sehr belastend. Sie ruft mich dann immer verzweifelt an, was sie machen soll. Und ich bin hilflos, da ich da ja dann auch nichts machen kann. Der Facharzt und ich sind der selben Meinung: würde ich hin fahren während seines Schubs und versuchen zu helfen, würde das eher negativ sein. Da er mir während des Schubs ja auch nicht traut, mich nicht erkennt. Und dann vielleicht wirklich weg läuft. So geht er bis zur Grundstücksgrenze, versucht, in sein Auto zu gelangen (Schlüssel haben wir ihm weggenommen, da er auch nicht mehr fahren darf, doch das Auto ist noch nicht verkauft. Firmen-Lieferwagen).
Diese Woche wurde ein Hausnotruf installiert, den Mama drücken kann, sollte sie stürzen oder etwas mit Papa sein. Oder eben, wenn ein Schub mal so schlimm ist, dass sie gar nicht mehr mit Papa zurecht kommt oder er wirklich wegläuft. Aber Mama möchte den Drücker nicht am Handgelenkt. Bereits am nächsten Tag lag er in der Nachtkästchen-Schublade. Das selbe Spiel mit einem GPS-Tracker mit SOS-Funktion, den ich den beiden bestellt habe (und monatlich dafür bezahle, was ich aber gern mache, wenn er ihnen hilft). Papa hat seinen verloren (inzwischen Akku leer und da er nur auf 5 Meter genau ist, haben wir den Tracker noch nicht gefunden). Mamas Tracker, den ich ihr wegen der SOS-Funktion gegeben habe, liegt ganz oben in einem Regal. Dauernd mit sich rumtragen möchte sie ihn nicht. (Aber ganz oben im Regal hilft er halt auch recht wenig). Gestern war dann endlich auch der Begutachtungstermin bzgl. Pflegegrad. Am Ende des Telefonats wurde uns mitgeteilt, Papa bekommt wohl Pflegegrad 2.
Papa und Mama leben zusammen in einem nicht barrierefreien gemieteten Haus. Küche, Wohnzimmer, Esszimmer im Erdgeschoss, Schlafzimmer, Badezimmer im 1. Stock. Bereits vor Jahren hatte ich sie gebeten, darüber nachzudenken, wie es mal sein soll, wenn sie alt sind oder irgendwas ist und dass sie sich auch mal über betreutes Wohnen informieren sollen. Wollten sie nicht. Das machen wir dann, wir bleiben ja eh immer hier wohnen.
Bis Weihnachten letzten Jahres war ich täglich 1 Tag pro Woche dort. Im Dezember wurde die Demenz schlimmer, seitdem bleibe ich jede Woche 2 Nächte dort. Ich fahre als an Tag X am Nachmittag oder späten Nachmittag zu meinen Eltern, bleibe 2 Nächte dort und fahre an Tag Z abends wieder nach Hause.
Eigentlich habe ich gesagt, dass ich jede Woche 1 x dort über Nacht bleibe. Aber es war dauernd etwas, das 2 Übernachtungen erforderlich machten. Termine, die schon vor Monaten von den Eltern so gelegt wurden, Termine die überraschend dazu kamen usw.
Ich verstehe, dass die Situation für meine Eltern und speziell für meine Mutter sehr belastend und schwierig ist und dass sie mich brauchen. Aber aktuell geht ihr Wunsch, dass ich für sie da sein soll und dass sie in dem gemieteten Haus bleiben wollen auf Kosten meines Lebens.
Erst wollten sie, dass ich (40) wieder zu ihnen ziehe. Das möchte ich jedoch nicht. Zum einen, weil ich dann gar nicht mehr zu meiner Arbeit kommen würde und zum anderen, weil ich mich in der Gegend nie wohl gefühlt habe. In den Jahren, die ich in der Gegend meiner Eltern gelebt habe, bin ich ca 17x umgezogen, ich war immer rastlos und habe mich nie wohlgefühlt. Seit ich in meinen jetzigen Wohnort wohne, und das sind bereits etwas über 7 Jahre, bin ich endlich angekommen, bin ruhig und fühle mich wohl. Irgendwann haben sie es akzeptiert, dass ich nicht zu ihnen ziehen werde. Ich wohne etwas über 1 Stunde von meinen Eltern entfernt.
Ich bin selbstständig tätig, habe mich vor 6 Jahren selbstständig gemacht. Es läuft gut. Oder besser gesagt, es lief gut. Seit ich 2,5 Tage die Woche dort bin und nur noch 4,5 Tage die Woche arbeiten kann, läuft es immer schlechter. Denn die 4,5 Tage habe ich auch nicht nur zum Arbeiten zur Verfügung. Ich organisiere alles rund um Papas Demenz. Behördensachen, Krankenkasse, Arzttermine, Trouble Shooting usw. Vergangene Woche waren es nur 3 Tage, die ich arbeiten konnte. Und wenn ich nicht arbeite, verdiene ich als Selbstständige natürlich kein Geld. Deshalb arbeite ich meistens bis rund 22 Uhr oder noch länger. Vergangene Woche auch mal bis 2:30 Uhr früh. Ich will schließlich keine Kunden verlieren und meine Arbeit schaffen.
Mein Leben besteht aktuell aus Arbeit und Eltern. Zeit für mich selbst habe ich inzwischen gar keine mehr. Abends mal entspannt vor dem Fernseher sitzen? Freunde treffen (natürlich stets corona-konform)? Alles nicht mehr möglich, ich habe keine Zeit dafür. Es gibt nur noch Arbeit und Eltern. Und ich kann nicht mehr.
Ich habe versucht, mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Mit Papa aufgrund seiner Demenz natürlich nicht mehr wirklich möglich. Und Mama?
Sage ich: ich habe keine Zeit mehr für mich selbst. Sagt sie: ich auch nicht.
Sage ich: ich habe Angst vor meiner Zukunft. Sagt sie: wir haben auch Angst vor der Zukunft.
Sage ich: wenn es so weitergeht wie bisher (keine Zeit für Freunde oder mal ein Date (wenn Corona nicht wäre)), stehe ich irgendwann ganz alleine da. Sagt sie: wir denken auch oft daran, was mit dir mal ist, aber was sollen wir machen.
Sage ich: ich könnte ja nicht mal jemanden daten, weil ich keine Zeit dafür habe. Dabei hätte ich auch gerne jemanden, mit dem ich alt werden kann. Sagt sie: du hattest schon genug Liebhaber.
Sage ich: ihr wisst gar nicht, wie es mir geht, denn ihr wart nie in einer solchen Situation (Mamas Eltern sind früh verstorben, Papas Vater auch, um Papas Mama haben sich seine Schwestern gekümmert). Sagt sie: wir haben auch viel gearbeitet und wir hatten ein Kind, dich.
Sage ich: das ist doch etwas anderes. Ein Kind könnt ihr in euer Leben integrieren, Eltern nicht so einfach. (Schließlich möchten sie ihr Leben so leben, wie sie es wollen und ich muss mich nach ihnen richten). Sagt sie: nichts und geht.
Sage ich: ich muss doch arbeiten! Sagt sie: kannst du das nicht hier? (habe ich mehrfach versucht, aber mein Job ist reine Kopfarbeit mit hoher Konzentration. Und konzentrieren kann ich mich bei den Eltern einfach nicht. Zudem schlechte Internetverbindung und alle meine Akten und Arbeitsunterlagen sind natürlich in meinem Büro).
Letztens habe ich gesagt: irgendwann die nächsten Wochen bin ich mal nur 1 Nacht hier. Ich muss zum Zahnarzt, weil mir ein Stückchen Zahn rausgebrochen ist. Sagt sie: Pfffff. Und geht.
Hatte ich, bevor Papas Demenz so schlimm wurde betreutes wohnen vorgeschlagen: wollten sie nicht. Habe ich in letzter Zeit vorgeschlagen, dass halt dann mal eine Pflegekraft einziehen muss (im Dachgeschoss sind 2 Zimmer mit Küche und Bad frei, dort habe ich ganz früher gewohnt, als ich noch bei den Eltern gewohnt habe). Wollen sie aber nicht. Sie wollen keine fremde Person im Haus.
Egal, welchen Lösungsvorschlag ich bringe, sie lehnen ihn ab.
Und wenn ich dann sage: ich kann nicht mehr. Ich laufe 24/7 auf 1000%, habe keine Zeit, mal runterzukommen, mal abzuschalten. Heißt es entweder von Mama: sie auch nicht. Oder: dann kommst halt gar nicht mehr und wir müssen sehen, wie wir zurecht kommen.
Seit ich mit 21 ausgezogen bin, rufe ich meine Eltern täglich an, frage wie es ihnen geht und besuche sie 1x pro Woche. Seit meinem Auszug mit 21 haben meine Eltern mich erst 5 oder maximal 6 mal besucht. Begründung: sie können ja ihre Katzen nicht alleine lassen. Dass meine Katze 1x die Woche alleine war, war ganz etwas anderes. Da würden ja die Nachbarn auf sie schauen. Meine Katze hat auf meine Stress reagiert, wurde aggressiv. Aktuell ist sie bei einer Bekannten untergebracht. Ich wollte sie eigentlich Mitte diesen Monats wieder zu mir holen, denn ich vermisse sie schrecklich. Aber: ich kann nicht. Da ich 2,5 Tage die Woche bei meinen Eltern sein muss.
Jetzt bin ich 40. Ich habe einen Ort gefunden, an dem ich mich endlich wohl fühle, habe mir eine Existenz aufgebaut und das erste Mal in meinem Leben einen Freundeskreis. Den hatte ich in der Gegend bei meinen Eltern nie. Meine Firma läuft (noch) gut, aber die ersten Kunden beschweren sich, dass die Qualität nachgelassen hat. Das merke ich auch selbst. Ich brauche länger als üblich für die Auftragsfertigstellung und muss öfter nachbessern. Das war vor den 2,5 Tagen bei meinen Eltern, als ich mehr Zeit für die Arbeit hatte und vor allem auch mal zumindest 1 freien Tag pro Woche hatte (5 Tage Arbeit, 1 Tag bei den Eltern, 1 Tag frei) nicht so.
Ich habe extrem verspannte Schultern, die stark schmerzen. An manchen Tagen habe ich fast keinen Antrieb mehr und weine oft den ganzen Tag. Auch habe ich große Probleme beim einschlafen. Am schlimmsten ist es Ich kann einfach nicht mehr. Aber meine Eltern interessiert das nicht. Es ist nur wichtig, dass ich für sie da bin. Das einzige, dass sie dazu bringt, zu reagieren, also mir mal zuzuhören ist, wenn ich sage: ok, dann melde ich meine Firma ab, beantrage Hartz 4 und dann kann ich immer für euch da sein. Dann horchen sie auf und sagen: das wollen sie doch auch nicht.
Aber gemeinsam mit mir nach einer Lösung suchen, weil wenn es so weiter geht, mein gesamtes Leben den Bach runter geht, wollen sie auch nicht. Papa kann das ja nicht mehr aufgrund seiner Demenz, Mama ist das alles zuviel und sie will über das alles nicht nachdenken.
Aber was ist mit mir? Muss ich wirklich mein Privatleben auf 0 setzen, keinerlei Zeit mehr für mich haben, täglich bis spät Abends arbeiten, um für meine Eltern da zu sein? Meine Firma aufzubauen war nicht einfach, ich habe gekämpft, bin viele Kompromisse eingegangen, habe immer sehr viel gearbeitet. Und ich möchte die Firma nicht verlieren und auch keine Kunden. Meine Eltern müssten das eigentlich verstehen, Papa war ja auch selbstständig. Aber wie bei allem ist das natürlich etwas ganz anderes.
Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Und werde mir jetzt wohl einen Psychotherapeuten suchen. Ich möchte für meine Eltern da sein und möchte ihnen gerne das Leben ermöglichen, dass sie sich wünschen. Aber muss ich wirklich dafür mein eigenes Leben aufgeben und irgendwann wieder ganz bei Null anfangen? Ich fühle mich egoistisch, wenn ich mir einen Tag einfach für mich wünsche. Ohne Arbeit, ohne Eltern, einfach mal abschalten und zur Ruhe kommen. Ich bin ko.
Bitte entschuldigt den langen Text. Aber ich musste mir das alles mal von der Seele schreiben.
Wie ist bzw. war das bei euch?
LG
Lilly
bisher habe ich ab und an hier still mitgelesen, doch nun möchte ich auch etwas schreiben. Mein Vater (71) ist an Demenz erkrankt. Im vergangenen Jahr ist es schlimmer geworden, sodass er bei der Bewältigung seiner letzten Aufträge (er war selbstständig tätig) Hilfe brauchte. So sind meine Mutter, ich oder ein Freund der Familie mit ihm gefahren, da er zwar seine Arbeiten noch gut erledigen konnte, jedoch die Kundenadressen nicht mehr gefunden hat. Es war ihm sehr wichtig, die Aufträge noch abzuarbeiten, bevor die Firma abgemeldet wird. Diesen Wunsch haben wir ihm natürlich erfüllt.
Ich nenne Papas schlimmere Phasen immer "Schübe". Außerhalb dieser Schübe ist er normal, fast wie immer. Vergisst halt sehr viel. In seinen Schüben erkennt er Mama nicht mehr, mich nicht mehr, sein Zuhause nicht mehr und möchte weg. Mal nach Österreich, wo er ursprünglich her kommt, mal zu einer Adresse, wo er seit über 20 Jahren schon nicht mehr lebt, mal an einen Ort, wo er nur gearbeitet, aber nie gelebt hat. Diese Schübe sind für meine 78 Jahre alte Mutter sehr belastend. Sie ruft mich dann immer verzweifelt an, was sie machen soll. Und ich bin hilflos, da ich da ja dann auch nichts machen kann. Der Facharzt und ich sind der selben Meinung: würde ich hin fahren während seines Schubs und versuchen zu helfen, würde das eher negativ sein. Da er mir während des Schubs ja auch nicht traut, mich nicht erkennt. Und dann vielleicht wirklich weg läuft. So geht er bis zur Grundstücksgrenze, versucht, in sein Auto zu gelangen (Schlüssel haben wir ihm weggenommen, da er auch nicht mehr fahren darf, doch das Auto ist noch nicht verkauft. Firmen-Lieferwagen).
Diese Woche wurde ein Hausnotruf installiert, den Mama drücken kann, sollte sie stürzen oder etwas mit Papa sein. Oder eben, wenn ein Schub mal so schlimm ist, dass sie gar nicht mehr mit Papa zurecht kommt oder er wirklich wegläuft. Aber Mama möchte den Drücker nicht am Handgelenkt. Bereits am nächsten Tag lag er in der Nachtkästchen-Schublade. Das selbe Spiel mit einem GPS-Tracker mit SOS-Funktion, den ich den beiden bestellt habe (und monatlich dafür bezahle, was ich aber gern mache, wenn er ihnen hilft). Papa hat seinen verloren (inzwischen Akku leer und da er nur auf 5 Meter genau ist, haben wir den Tracker noch nicht gefunden). Mamas Tracker, den ich ihr wegen der SOS-Funktion gegeben habe, liegt ganz oben in einem Regal. Dauernd mit sich rumtragen möchte sie ihn nicht. (Aber ganz oben im Regal hilft er halt auch recht wenig). Gestern war dann endlich auch der Begutachtungstermin bzgl. Pflegegrad. Am Ende des Telefonats wurde uns mitgeteilt, Papa bekommt wohl Pflegegrad 2.
Papa und Mama leben zusammen in einem nicht barrierefreien gemieteten Haus. Küche, Wohnzimmer, Esszimmer im Erdgeschoss, Schlafzimmer, Badezimmer im 1. Stock. Bereits vor Jahren hatte ich sie gebeten, darüber nachzudenken, wie es mal sein soll, wenn sie alt sind oder irgendwas ist und dass sie sich auch mal über betreutes Wohnen informieren sollen. Wollten sie nicht. Das machen wir dann, wir bleiben ja eh immer hier wohnen.
Bis Weihnachten letzten Jahres war ich täglich 1 Tag pro Woche dort. Im Dezember wurde die Demenz schlimmer, seitdem bleibe ich jede Woche 2 Nächte dort. Ich fahre als an Tag X am Nachmittag oder späten Nachmittag zu meinen Eltern, bleibe 2 Nächte dort und fahre an Tag Z abends wieder nach Hause.
Eigentlich habe ich gesagt, dass ich jede Woche 1 x dort über Nacht bleibe. Aber es war dauernd etwas, das 2 Übernachtungen erforderlich machten. Termine, die schon vor Monaten von den Eltern so gelegt wurden, Termine die überraschend dazu kamen usw.
Ich verstehe, dass die Situation für meine Eltern und speziell für meine Mutter sehr belastend und schwierig ist und dass sie mich brauchen. Aber aktuell geht ihr Wunsch, dass ich für sie da sein soll und dass sie in dem gemieteten Haus bleiben wollen auf Kosten meines Lebens.
Erst wollten sie, dass ich (40) wieder zu ihnen ziehe. Das möchte ich jedoch nicht. Zum einen, weil ich dann gar nicht mehr zu meiner Arbeit kommen würde und zum anderen, weil ich mich in der Gegend nie wohl gefühlt habe. In den Jahren, die ich in der Gegend meiner Eltern gelebt habe, bin ich ca 17x umgezogen, ich war immer rastlos und habe mich nie wohlgefühlt. Seit ich in meinen jetzigen Wohnort wohne, und das sind bereits etwas über 7 Jahre, bin ich endlich angekommen, bin ruhig und fühle mich wohl. Irgendwann haben sie es akzeptiert, dass ich nicht zu ihnen ziehen werde. Ich wohne etwas über 1 Stunde von meinen Eltern entfernt.
Ich bin selbstständig tätig, habe mich vor 6 Jahren selbstständig gemacht. Es läuft gut. Oder besser gesagt, es lief gut. Seit ich 2,5 Tage die Woche dort bin und nur noch 4,5 Tage die Woche arbeiten kann, läuft es immer schlechter. Denn die 4,5 Tage habe ich auch nicht nur zum Arbeiten zur Verfügung. Ich organisiere alles rund um Papas Demenz. Behördensachen, Krankenkasse, Arzttermine, Trouble Shooting usw. Vergangene Woche waren es nur 3 Tage, die ich arbeiten konnte. Und wenn ich nicht arbeite, verdiene ich als Selbstständige natürlich kein Geld. Deshalb arbeite ich meistens bis rund 22 Uhr oder noch länger. Vergangene Woche auch mal bis 2:30 Uhr früh. Ich will schließlich keine Kunden verlieren und meine Arbeit schaffen.
Mein Leben besteht aktuell aus Arbeit und Eltern. Zeit für mich selbst habe ich inzwischen gar keine mehr. Abends mal entspannt vor dem Fernseher sitzen? Freunde treffen (natürlich stets corona-konform)? Alles nicht mehr möglich, ich habe keine Zeit dafür. Es gibt nur noch Arbeit und Eltern. Und ich kann nicht mehr.
Ich habe versucht, mit meinen Eltern darüber zu sprechen. Mit Papa aufgrund seiner Demenz natürlich nicht mehr wirklich möglich. Und Mama?
Sage ich: ich habe keine Zeit mehr für mich selbst. Sagt sie: ich auch nicht.
Sage ich: ich habe Angst vor meiner Zukunft. Sagt sie: wir haben auch Angst vor der Zukunft.
Sage ich: wenn es so weitergeht wie bisher (keine Zeit für Freunde oder mal ein Date (wenn Corona nicht wäre)), stehe ich irgendwann ganz alleine da. Sagt sie: wir denken auch oft daran, was mit dir mal ist, aber was sollen wir machen.
Sage ich: ich könnte ja nicht mal jemanden daten, weil ich keine Zeit dafür habe. Dabei hätte ich auch gerne jemanden, mit dem ich alt werden kann. Sagt sie: du hattest schon genug Liebhaber.
Sage ich: ihr wisst gar nicht, wie es mir geht, denn ihr wart nie in einer solchen Situation (Mamas Eltern sind früh verstorben, Papas Vater auch, um Papas Mama haben sich seine Schwestern gekümmert). Sagt sie: wir haben auch viel gearbeitet und wir hatten ein Kind, dich.
Sage ich: das ist doch etwas anderes. Ein Kind könnt ihr in euer Leben integrieren, Eltern nicht so einfach. (Schließlich möchten sie ihr Leben so leben, wie sie es wollen und ich muss mich nach ihnen richten). Sagt sie: nichts und geht.
Sage ich: ich muss doch arbeiten! Sagt sie: kannst du das nicht hier? (habe ich mehrfach versucht, aber mein Job ist reine Kopfarbeit mit hoher Konzentration. Und konzentrieren kann ich mich bei den Eltern einfach nicht. Zudem schlechte Internetverbindung und alle meine Akten und Arbeitsunterlagen sind natürlich in meinem Büro).
Letztens habe ich gesagt: irgendwann die nächsten Wochen bin ich mal nur 1 Nacht hier. Ich muss zum Zahnarzt, weil mir ein Stückchen Zahn rausgebrochen ist. Sagt sie: Pfffff. Und geht.
Hatte ich, bevor Papas Demenz so schlimm wurde betreutes wohnen vorgeschlagen: wollten sie nicht. Habe ich in letzter Zeit vorgeschlagen, dass halt dann mal eine Pflegekraft einziehen muss (im Dachgeschoss sind 2 Zimmer mit Küche und Bad frei, dort habe ich ganz früher gewohnt, als ich noch bei den Eltern gewohnt habe). Wollen sie aber nicht. Sie wollen keine fremde Person im Haus.
Egal, welchen Lösungsvorschlag ich bringe, sie lehnen ihn ab.
Und wenn ich dann sage: ich kann nicht mehr. Ich laufe 24/7 auf 1000%, habe keine Zeit, mal runterzukommen, mal abzuschalten. Heißt es entweder von Mama: sie auch nicht. Oder: dann kommst halt gar nicht mehr und wir müssen sehen, wie wir zurecht kommen.
Seit ich mit 21 ausgezogen bin, rufe ich meine Eltern täglich an, frage wie es ihnen geht und besuche sie 1x pro Woche. Seit meinem Auszug mit 21 haben meine Eltern mich erst 5 oder maximal 6 mal besucht. Begründung: sie können ja ihre Katzen nicht alleine lassen. Dass meine Katze 1x die Woche alleine war, war ganz etwas anderes. Da würden ja die Nachbarn auf sie schauen. Meine Katze hat auf meine Stress reagiert, wurde aggressiv. Aktuell ist sie bei einer Bekannten untergebracht. Ich wollte sie eigentlich Mitte diesen Monats wieder zu mir holen, denn ich vermisse sie schrecklich. Aber: ich kann nicht. Da ich 2,5 Tage die Woche bei meinen Eltern sein muss.
Jetzt bin ich 40. Ich habe einen Ort gefunden, an dem ich mich endlich wohl fühle, habe mir eine Existenz aufgebaut und das erste Mal in meinem Leben einen Freundeskreis. Den hatte ich in der Gegend bei meinen Eltern nie. Meine Firma läuft (noch) gut, aber die ersten Kunden beschweren sich, dass die Qualität nachgelassen hat. Das merke ich auch selbst. Ich brauche länger als üblich für die Auftragsfertigstellung und muss öfter nachbessern. Das war vor den 2,5 Tagen bei meinen Eltern, als ich mehr Zeit für die Arbeit hatte und vor allem auch mal zumindest 1 freien Tag pro Woche hatte (5 Tage Arbeit, 1 Tag bei den Eltern, 1 Tag frei) nicht so.
Ich habe extrem verspannte Schultern, die stark schmerzen. An manchen Tagen habe ich fast keinen Antrieb mehr und weine oft den ganzen Tag. Auch habe ich große Probleme beim einschlafen. Am schlimmsten ist es Ich kann einfach nicht mehr. Aber meine Eltern interessiert das nicht. Es ist nur wichtig, dass ich für sie da bin. Das einzige, dass sie dazu bringt, zu reagieren, also mir mal zuzuhören ist, wenn ich sage: ok, dann melde ich meine Firma ab, beantrage Hartz 4 und dann kann ich immer für euch da sein. Dann horchen sie auf und sagen: das wollen sie doch auch nicht.
Aber gemeinsam mit mir nach einer Lösung suchen, weil wenn es so weiter geht, mein gesamtes Leben den Bach runter geht, wollen sie auch nicht. Papa kann das ja nicht mehr aufgrund seiner Demenz, Mama ist das alles zuviel und sie will über das alles nicht nachdenken.
Aber was ist mit mir? Muss ich wirklich mein Privatleben auf 0 setzen, keinerlei Zeit mehr für mich haben, täglich bis spät Abends arbeiten, um für meine Eltern da zu sein? Meine Firma aufzubauen war nicht einfach, ich habe gekämpft, bin viele Kompromisse eingegangen, habe immer sehr viel gearbeitet. Und ich möchte die Firma nicht verlieren und auch keine Kunden. Meine Eltern müssten das eigentlich verstehen, Papa war ja auch selbstständig. Aber wie bei allem ist das natürlich etwas ganz anderes.
Ich weiß einfach nicht mehr weiter. Und werde mir jetzt wohl einen Psychotherapeuten suchen. Ich möchte für meine Eltern da sein und möchte ihnen gerne das Leben ermöglichen, dass sie sich wünschen. Aber muss ich wirklich dafür mein eigenes Leben aufgeben und irgendwann wieder ganz bei Null anfangen? Ich fühle mich egoistisch, wenn ich mir einen Tag einfach für mich wünsche. Ohne Arbeit, ohne Eltern, einfach mal abschalten und zur Ruhe kommen. Ich bin ko.
Bitte entschuldigt den langen Text. Aber ich musste mir das alles mal von der Seele schreiben.
Wie ist bzw. war das bei euch?
LG
Lilly
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Kommentare
danke für Deinen Beitrag, der Dich bestimmt auch viel Zeit und Kraft gekostet hat.
Du hast mir aus meinem Herzen geschrieben und ich habe mich sofort angesprochen gefühlt, denn mir geht es genauso wie Dir.
Und ich kann Dich so gut verstehen und auch alle Deine Schilderungen absolut nachvollziehen.
Ich lese hier im Form - so wie Du - auch bisher "nur still mit" und habe mich jetzt aber gern registriert, um Dir zu schreiben.
Es tut mir so leid, dass Du "ko" bist und auch das kenne ich sehr gut, leider.
Das ist ja auch eine völlig neue anstrengende Situation für Dich und man muss sich ja auch erst einmal "sortieren" und wir haben ja auch noch ein eigenes Leben ;-)
Ich betreue meine Mutter seit 4 Jahren :-( und es wird immer stressiger und schwieriger.
Aber, ich habe eine Menge dazu gelernt in dieser Zeit, auch mich abzugrenzen, aber ich bin
durch sehr viele Höhen und sehr viele Tiefen gegangen.
Heute weiß ich, es gibt ja viele Möglichkeiten an Lösungen, so muss man diese Situaton auch auf gar keinen Fall alleine "bewältigen. Das wäre viel zu stressig, das geht auf gar keinen Fall, das habe ich inzwischen gelernt und ich wußte leider am Anfang viel zu wenig und so würde ich Dir gerne ein paar Tipps geben.
Und Deine "Gedanken" sind völlig in Ordnung, dass Du nämlich auch für Dich unbedingt Erholung und Zeit etc. brauchst.
Ich würde mich sehr gerne mit Dir austauschen, es würde mich sehr freuen.
Und vielleicht kann ich Dir, besonders jetzt am Anfang, auch ein wenig helfen, dass es Dir besser geht.
Ich weiß jetzt gar nicht, ob ich Dir auch eine private Nachricht über dieses Forum senden kann?
Dann könnte ich mich mit Dir persönlich austauschen, das wäre sehr schön.
Auf jeden Fall wünsche ich Dir ganz viel Kraft und dass Du Dir auch Zeit für Dich nimmst. Das ist in unserer Situation unendlich wichtig.
Ich freue mich auf eine Rückmeldung von Dir.
Ganz liebe Grüße
Roli
vielen Dank für deine liebe Antwort. Ein Austausch würde mich auch sehr freuen. Aber ich habe keine Ahnung, ob man hier gegenseitig private Nachrichten austauschen kann...
Herzliche Grüße
Lilly
danke für Deine Rückmeldung!
Ich werde mich intern ;-) hier einnmal durchfragen, vielleicht haben wir ja Glück ;-)
Liebe Grüße
Roli
Alles gute Thommmy