Hilflos und sehr traurig

Hallo, ich bin neu hier, habe die Seite bei meiner Suche nach Infos gefunden und weiß gar nicht, ob es richtig ist, hier nach ähnlichen Erfahrungen zu fragen, aber ich versuche es.

Meine Mutter ist 80 Jahre alt, war bis vor 2 Jahren putzmunter und geistig auch ihrem Alter entsprechend fit. Wir hatten immer nur den Eindruck, dass sie halt, weil sie nun keine 17 mehr ist, manches etwas schwerer versteht.

Seit 6 Jahren lebt sie in einer Senioren-Pflege-WG, in die sie selbst wollte, als es ihr trotz Schwerstbehinderung (sie konnte nicht mehr gut laufen) geistig noch gut ging. Ich wohne ca. 500 km entfernt, und sie wollte - obwohl wir sie gern zu uns geholt hätten - in ihrer Geburtsstadt bleiben. Deshalb suchte sie sich mit uns zusammen diese Senioren-Pflege-WG aus, mit der wir auch nur die besten Erfahrungen machten - und Mama fühlt sich dort wirklich wohl.

Aber mit was ich nicht klarkomme, das ist ihre Demenz. Sie sieht aus wie immer, ihre Stimme klingt wie immer, aber was sie sagt ist Unfug, wie sie mich anschaut - das ist anders. Das Fröhliche ist weg, die Herzlichkeit, die Liebe. Wenn ich sie in den Arm nehme oder sie streichle, dann lächelt sie, aber genauso lächelt sie auch die Schwester an, die die Windel wechselt. Sie lässt sich auch von mir füttern, ich mache das gern, wir sind so oft es geht bei ihr, mindestens alle 3-4 Wochen, aber ich werde so traurig, wenn ich das erlebe, wie sie jetzt ist. Letztes Wochenende saß ich an ihrem Bettchen, hab sie zugedeckt und mit ihr gemeinsam mit einer Plüschente gespielt, da strahlte sie mich auf einmal an und sagte zu mir MAMA. Ich habe sie gedrückt und gestreichelt und bin darauf eingegangen, aber es war ein Schock. Zu meinem Lebensgefährten, den sie immer sehr gern hatte, sagte sie Papa. Wir waren beide total fertig und sind beide sehr traurig.

Ich habe lange mit dem Psychiater gesprochen, der mir jede Menge Fachausdrücke an den Kopf geworfen hat. Dass es nicht mehr anders wird, weiß ich auch, aber nur im Kopf. Im Herzen schaut es anders aus. Das Schlimmste, was er mir sagte, war: "Ihre Mutter ist eigentlich tot, nur die äußere Form ist da, daran müssen Sie sich gewöhnen! Demenz ist ein langer Tod." Daraufhin habe ich - völlig aufgelöst - mit der Allgemeinmedizinerin gesprochen und die sagte mir, dass das zwar krass ausgedrückt sei, aber doch den Tatsachen entspreche ... es tut einfach nur sehr weh, wahnsinnig weh.

Meine Mutter, eine starke Frau, die leben und kämpfen konnte, war beruflich erfolgreich, sie hat als Designer gearbeitet - und jetzt spielt sie mit Plüschtieren, wenn ich sie eincreme, muss ich aufpassen, dass sie nicht die Creme von der Hand leckt, weil sie denkt, es ist etwas zu essen. Das macht mich alles so fertig, ich verstehe es einfach nicht.

Der Arzt meinte nur lapidar als "Trost", eigentlich könnte ich zufrieden sein, sie ist friedlich, glücklich, erlebt in ihrer Demenz jede Menge schöne Dinge (sie erzählt mir laufend von ihren Theaterbesuchen, die sie erlebt zu haben meint) und ihr gehe es gesundheitlich gut. Nur ich müsse damit zurecht kommen, dass sie einfach in einer anderen Welt ist ...

Entschuldigung bitte, wenn ich jetzt soviel geschrieben habe, aber vielleicht gibt es ja jemanden, der das liest und ähnliche Erfahrungen hat und vielleicht schon ein Stück weiter ist als ich auf dem Wege des Annehmens, Akzeptierens, Verstehens ...

Kommentare

  • Hallo !

    Ich kann Deine Verzweiflung so gut nachvollziehen.
    Bei meinem Mann ist das genauso.Es braucht lange zu begreifen das der Mensch den man geliebt hat nicht mehr derselbe ist.Manchmal hab ich eine tierische Wut. Warum wir ? Das kann nur leider keiner beantworten. Ich wünsch Dir viel Kraft.
    LG Trudel
  • Hallo,

    so schlimm dies klingt, es ist leider die Tatsache und beim Lesen Deiner Zeilen ist mir wieder bewusst geworden, dass dies auch mein Alltag mit meiner Mutter täglich ist!!!

    Für Dich ist es nur schlimmer, da Du weiter weg wohnst und dann noch mehr siehst, wie sich Deine Mutter in den "Zwischenzeiten" wo Du sie nicht siehst, verändert.

    Ich pflege meine Mutter und sie ist unmittelbar in meiner Nähe, aber ich muss immer wieder neu lernen, mit dieser Erkrankung umzugehen.
    Manchmal bin ich überdankbar, dass ich das Zimmer mal verlassen darf und die Tür hinter mir zumachen kann, denn sonst würde ich losschreien.
    Es ist einfach oft nicht nur eklig - daran kann ich mich wohl gewöhnen- aber erniedrigend für meine Mutter, aber auch für mich, da - wie Du Dich auch ausdrückst- nur Unfug kommt (wenn sie überhaupt noch redet)!

    Ich gebe mir alle Mühe zu lernen, so gut es geht, mit dieser Krankheit umzugehen.
    Schwer bleibt es aber trotzdem!

    Viel Kraft, aber auch "Abstand" innerlich, wünscht Dir Christine
  • Liebe Trudel, liebe Christine,

    habt ganz vielen Dank für Eure Zeilen. Das ist es wohl, was die Erkrankung des lieben Menschen für die Angehörigen so schwer macht: die Verzweiflung, das Fragen nach dem Warum, dass man miterleben muss, wie sich ein Mensch, den man liebt, so verändert.

    Gestern, nachdem ich soviel hier geschrieben habe, habe ich meine Mutter angerufen, nur damit sie meine Stimme hört, wir ein bisschen plaudern und ich vom Gefühl her weiß, ob es ihr gut geht. Sie hat nur Hallo gesagt, reagierte gar nicht, als ich ihr meinen Namen sagte und schniefte dann so eigenartig, das ging über Minuten so. Dann hörte ich, dass jemand zur Tür hereinkommt und den Hörer nahm. Es war eine Schwester, sie sagte mir, dass Mama ihren Plüschbiber, den sie am Wochenende von uns geschenkt bekam, ans Telefon gehalten hat und er "telefonieren" sollte. Das hat mich wieder mal völlig umgeworfen.

    Diese Entwicklung, vor nicht einmal 2 Jahren noch so humorvoll, kess, um keine Antwort verlegen, immer zu einem Spaß aufgelegt und mit beiden Beinen im Leben stehend - und nun telefoniert ihr Plüschtier ... ich bekomm es nicht in den Kopf hinein.

    Etwas positives, was ich bemerkt habe, ist, dass sie emotional doch irgendwie reagiert. Sie lässt sich von mir beruhigen, wenn ich ihr sage, es ist alles gut, sie muss keine Angst haben (ab und zu sitzt nämlich eine Kuh unter ihrem Bett und kommt nicht heraus), dann wird sie auch ruhiger, wir singen auch öfter Weihnachtslieder am Telefon, meist schläft sie dann nach einer Weile ein.

    Es ist jeden Tag ein Hoch, ein Tief ... was bleibt, dass ich sie ganz sehr lieb habe und es ihr nicht zeige, wie sehr ich verzweifelt bin.

    Liebe Grüße und auch viel Kraft für Euch
    Brigitte
  • Hallo Brigitte,

    wenn dein Psychiater sagt, dass deine Mutter eigentlich tot sei, dann trifft das natürlich (wenn überhaupt) höchstens auf die Persönlichkeit zu, die sie früher gewesen ist. Da ist aber immer noch der Mensch, der nach wie vor fühlt. Ich glaube, dass die Gefühle um so wichtiger für die Erkrankten werden, je mehr der Verstand verschwindet. Für mich war es immer ein Trost, dass ich zumindest dafür sorgen konnte, dass meine Mutter gut versorgt ist und möglichst oft noch schöne Momente erleben konnte. Aber du hast natürlich Recht, dass es sehr weh tut. Es ist wichtig, aber auch schwer, dass die Angehörigen akzeptieren, dass die von ihnen geliebten Menschen diese Krankheit haben, die man nicht nur nicht heilen kann, sondern die dazu noch immer schlimmer wird. Ab einem gewissen Stadium ist die Krankheit für die Angehörigen vielleicht schlimmer als für die Patienten selbst.

    Alles Gute,
    Pit
  • Hallo,

    wieder gibt es einen Tiefpunkt, wieder bin ich verzweifelt, wieder mit der Krankheit konfrontiert.

    Gestern habe ich mit meiner Mutter telefoniert, habe ihr mehrfach meinen Namen gesagt, ich hatte auch den Eindruck, dass sie irgendwie reagiert. Sie fragte sofort nach meinem Lebensgefährten, den sie sehr sehr gern mag; die zwei waren von Anfang an ein Herz und eine Seele. Ich erzählte ihr eine Weile von ihm.

    Mitten im Gespräch erklärte sie mir, dass sie gerade im Wartezimmer eines Zahnarztes sitzt und darauf wartet, dass sie von ihrer Tochter abgeholt werde. Völliger Unfug, sie hat keine echten Zähne mehr und ich bin 500 km weit weg und beim Zahnarzt war sie auch nicht. Aber ... sie war es halt in Gedanken. Also hab ich ihr gesagt, wenn sie abgeholt wird, hören wir auf mit Telefonieren, dass sie mitkann.

    Ich habe während des Gesprächs irgendwie gehofft, einen Einstieg zu finden, um ihr etwas zu sagen. Mein Lebensgefährte und ich heiraten in zwei Wochen - ganz in aller Stille, denn seine Mutter ist auch weit weg und kann aufgrund ihres Alters und Gesundheitszustandes nicht dabei sein, seine Geschwister sind im Ausland und meine Mum ... naja. Wir wollen im Sommer beim alljährlichen Familientreffen dann bei seiner Mutter nachfeiern.

    Eigentlich soll es ja ein wunderschöner Tag werden, aber ich bekomme die Gedanken nicht aus dem Kopf heraus. Früher hat Mum immer zu mir gesagt, dass sie sich damals bei meiner Geburt schon gefreut hat, dass sie ein Mädel bekommen hat; sie freut sich so sehr darauf, mein Hochzeitskleid zu entwerfen (das war ja ihr Beruf). Wir hatten auch immer so viel Spaß darüber, meinen ersten Lebensgefährten konnte sie gar nicht ab, da sagte sie immer zu mir, wenn ich den heirate, dann entwirft sie für mich ein Zipfelkleid mit Piratensymbol aufm Allerwertesten. Beim zweiten "Kandidat" drohte sie mir, weil er in ihren Augen bisschen übervornehm war, an, das Kleid aus einer Raffgardine zu fabrizieren, der Duschvorhang wird die Schleppe.

    Ich denke einerseits an die herrliche Ulkerei, und gerade nun, da ich glücklich bin, den Mann gefunden habe, mit dem ich hoffentlich sehr lange zusammenleben will, da geht der Wunsch nicht in Erfüllung. Sie begreift nicht einmal, dass wir heiraten. Mein Lebensgefährte hat mit ihr mal, als es ihr geistig gutging, ausgemacht, dass er mit ihr gemeinsam vor dem Altar warten möchte und seine Mama mit mir in die Kirche geht, weil wir uns eben alle so gut verstehen. Noch nicht einmal drei Jahre ist das alles her.

    Ob ich es ihr sagen kann? Ob es sie noch mehr durcheinander bringt? Ich möchte ihr auch nicht wehtun, wenn ich es ihr sage und sie vielleicht nicht weiß, warum sie nicht dabei sein konnte ... ich weiß nicht, was ich tun soll.

    Wieder frage ich mich nach dem Warum. Warum gibt es so eine Scheißkrankheit? Warum denn wir? Warum die Mama? Dieses Warum ... es tut weh.

    Liebe Grüße
    Brigitte
  • Hallo Brigitte,

    ich kann das alles so gut nachvollziehen. Bei meiner Mutter ist es ähnlich. die Geschichte mit dem Zahnarzt hätte auch von ihr sein können.

    Und im Moment bin ich auch traurig. Sehr traurig.
    Ich weiß seit ein paar Tagen, dass ich zum 2. Mal Oma werde, also meine Mutter Uroma.
    Ich hab ihr das gleich erzählt und sie hat nicht reagiert. Als meine Kinder kamen, da war sie völlig aus dem Häuschen und über ihren ersten Urenkel, da war noch alles okay hat sie sich so gefreut, dass sie trotz ganz frischer Knieoperation mit mir im KH getanzt hat.
    Und jetzt, grad mal 3 Jahre später - nix.

    Was deine Hochzeit betrifft, würde ich es auf jeden Fall sagen. Ich bin zu meiner Mutter immer - fast -ehrlich. Ich würde ihr sagen, dass es nur eine "Formsache" ohne Feier ist und du ihr die lange Reise nicht zumuten willst.
    Ich denke, dass sie das einfach so hin nimmt. Und du hast ein gutes Gewissen.

    Trotz der traurigen Umstände wünsche ich dir eine schöne trauung und alles gute für deine Ehe.

    Liebe Grüße

    Kassandra
  • Hallo, Brigitte,

    erzähle deiner Mutter alles, wovon du glaubst, dass es sie früher interssiert hätte. Auch wenn du nicht die Antworten bekommst, die du erwartest, sie wird an deiner Stimme hören, wie es dir geht. Und das ist wichtig.
    Mein Mann ist an Alzheimer erkrankt und seit Ostern im Heim. Ich freue mich immer, wenn ich sehe, dass es ihm gut geht. Er redet mittlerweile nur noch sehr leise, aber ich käme nie auf die Idee, diese Sätze, die für mich keinen Sinn ergeben, als Unfug zu bezeichnen. Ich weiss einfach, dass er versucht sich mitzuteilen. Und ich weiss, dass ihn allein das Wollen sehr viel Anstrengung kostet.
    Die Sache mit dem telefonierenden Biber finde ich, `tschuldigung, einfach nur schön. Deine Mutter darf das jetzt, solche Sachen machen, herrlich! Lass ihr diese Freiheit. Erwarte nichts von ihr. Aber sei glücklich, dass hätte sie gewollt!

    Alles Gute für Dich!

    Gitta
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