Wenn Erkrankte die Demenz nicht akzeptieren können…

Hallo alle zusammen,

ich würde mich sehr über einen Austausch mit Angehörigen von Demenzkranken freuen, die ihre Krankheit nicht annehmen können. Meine Mutter ist seit einigen Jahren an Demenz erkrankt, aber leider haben sie und mein Vater die Krankheit vor uns Kindern (alle zwischen 45 und 60 Jahre alt) vertuscht. Erst seit knapp einem halben Jahr, in dem es immer gravierender wird, werden wir mit eingebunden. Leider aber versuchen sie die Krankheit zu überspielen, nach Heilung zu suchen. Auch unser Vater hilft ihr dabei, dass die Krankheit nicht wirklich real wird. Dadurch ist Helfen sehr schwer. Auch der unserer Meinung nach dringend benötigte Pflegegrad kann nicht beantragt werden. Hilfe von außen darf es in ihren Augen nicht geben, da ja alles nicht so schlimm ist.

Gibt es hier Angehörige, die vielleicht auch diesen Prozess durchlaufen und Tipps haben?

Vielen Dank im Voraus!

Jasper

Kommentare

  • Hallo Jasper, bei uns ist das alles noch neu. Meine Mutter, 76 Jahre , war im Sommer in der Diagnostik, danach folgte ein ganz kurzes Outing und dann .....war alles vorbei. Sie ist lediglich Gaga im Kopf , so wie man halt im Alter sein wird. Nicht dramatisch und wird uns alle treffen. Mein Vater hat in einem kurzen Moment zugegeben, dass es leider nicht so ist. Aber ansonsten deckt er alles. Die beiden wohnen 40 km entfernt im eigenen Haus. Wir , ich bin Einzelkind, hätten immer viel Kontakt, auch telefonisch. Besonders letzteres wird extrem wenig. Angerufen werde ich gar nicht, jemand bei denen zu erreichen ist schwer. Da sie wenig unterwegs sind, gehen wir davon aus, dass nicht ans Telefon gegangen wird. Ihre beste Freundin bestätigt dies. Ist das normal??? Ich habe keine Ahnung wie ich damit umgehen soll!!

    Also helfen kann ich dir nicht. Aber vielleicht kannst du mir was hilfreiches erzählen.

  • bearbeitet November 2023

    Hallo k_s, ich denke, das Verdrängen ist normal. Anfangs konnte ich es auch nicht verstehen. Aber Betroffene merken ja nicht, was sie vergessen. Wie sollen sie sich dann daran erinnern. Mein Mann (Alzheimer) ist erst 63 . Er telefoniert ganz, ganz selten. Was soll er denn sagen. Er geht manchmal noch ans Telefon. Und manchmal erinnnert er sich auch daran, was jemand gesagt hat. Was ist normal bei Demenz? Mein Mann redet nie über eine Erkrankung, nur manchmal, wenn ich ihn frage.Er will verdrängen. Sagt immer: später. Betroffene leben den größten Teil nicht in "unserer Welt". Ich kann dir nur kurz von meiner Schwiegermutter erzählen. Sie war irgendwas zwischen 5-8 Jahre dement. Sie hatte keine Diagnose. Sie hat allein gelebt (manchmal kam die andere Schwiegertochter zum helfen). Sie hat gelebt wie sie es wollte. Und sie war nicht unglücklich dabei.

  • Liebe Gerhild, lieber Jasper, und k_s?

    ich habe Eure Beiträge gelesen.

    Tatsächlich kann man sagen, dass sich Eure Erfahrungen weitestgehend mit unseren decken.

    Unsere Eltern sind 1940 geboren, ich 1962 und mein Bruder 1966. Mein Bruder lebt mit seiner Familie in Baden-Württemberg. Meine Familie und ich in Mecklenburg-Vorpommern und meine Eltern wohnten in Sachsen-Anhalt im Vor-Harz. Und sie hatten dort viele soziale und familiäre Kontakte.

    Bei Besuchen in den letzten 20 Jahren hieß es seitens unseres Vaters immer. „ du weißt ja, deine Mutter ist ein bisschen schwerhörig,“… „es geht ihr nicht so gut..“ … „sie braucht ihre Ruhe“. Und tatsächlich hat sich unsere Mutter bei Familienfeiern immer irgendwie zurückgehalten und nicht wirklich daran teilgenommen.

    Unser Vater hat alle Besorgungen erledigt, den Haushalt geführt, gekocht, gewaschen, die Kontakte zur Familie und Freunden gehalten… und unsere Mutter saß in ihrem Sessel.

    2016 ist unser Vater plötzlich verstorben. Wirklich plötzlich.

    Und unsere Mutter stand alleine da. Zuerst sah es aus, als würde sie das hinbekommen. Immerhin hatte sie Freunde, ihre Nichten und Neffen vor Ort, eine jahrzehntelange Hausgemeinschaft mit sehr netten Nachbarn, und uns. Ich bin seinerzeit viel nach Sachsen-Anhalt (300 km Entfernung) gefahren und habe vieles organisiert und besorgt (Familientreffen und Feiern inbegriffen). Mein Bruder (600 km Entfernung) übrigens auch.

    Allerdings liefen all unsere Bemühungen, unsere Mutter zu uns zu holen, oder mit in den Urlaub zu nehmen, immer ins Leere. Wenn wir sie wirklich mal überredet haben zu uns zu kommen, dann fing sie nach zwei Tagen dermaßen an zu stänkern, dass man es wirklich nicht mit ihr ausgehalten hat. Und sie wieder nach Hause nach Sachsen-Anhalt gefahren wurde.

    Und dann kam Corona. Für meine Mutter ein Segen. Sie musste uns nicht mehr besuchen und sehen. Und den Kontakt zu Ihren Verwandten und Freunden konnte sie ohne Ausreden abbrechen. Sie brauchte keine Feierlichkeiten der Volksolidarität, keine Rentnerfeiern, keinen Rentnersport mehr besuchen. Hat nicht mehr mit Ihren Nachbarn geredet. Hat sämtliche Hilfsangebote abgelehnt.

    Natürlich haben wir bemerkt, dass sie alleine nicht mehr klarkommt und haben jahrelang versucht wenigstens eine Haushaltshilfe zu besorgen. Und wir hatten auch eine, die perfekt war. Da hatten wir aber die Rechnung, ohne unsere Mutter gemacht: „Erst, wenn es soweit ist“ Die Standardantwort von ihr.

    2022 kam uns das Finanzamt zu Hilfe. Unsere Mutter musste für 4 Jahre rückwirkend ihre Einkommenssteuererklärungen abgeben. Da war sie nun auf mich angewiesen und froh, dass sie Hilfe bekam. Dabei konnte ich einen großen Teil ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse klären und organisieren. Unsere Mutter war zu diesem Zeitpunkt absolut nicht mehr dazu in der Lage.

    Anfang 2023 ist ihre Lebenssituation derart eskaliert, dass ich mit Hilfe ihrer Hausärztin den Medizinischen Dienst einschalten konnte und sie sofort den Pflegegrad 2 bekam. Damit konnten wir dann arbeiten.

    Wir haben einen ambulanten Pflegdienst beauftragt. Selbstverständlich hat unsere Mutter in ihrer herablassenden Art festgestellt, dass das vollkommen unnötig ist. Und sie alles alleine machen kann.

    Vom Pflegedienst wurde uns nochmal bestätigt, dass unsere Mutter unter fortschreitender Demenz leidet. Es aber unheimlich gut verstecken kann und sehr misstrauisch ist.

    Im Übrigen wurden alle Entscheidungen meine Mutter betreffend, immer und zu jederzeit mit meinem Bruder abgesprochen.

    Am 27.04.2023 habe ich für unsere Mutter einen Platz hier in einem Pflegeheim 22 km von meinem Wohnort entfernt bekommen. Es ist das beste Seniorenheim hier in der Region. Wirklich.!

    Innerhalb einer Stunde mussten wir uns entscheiden. Mein Bruder war einen Tag zuvor bei unserer Mutter zu Besuch und hat sie, in einem derart verwahrlosten Zustand vorgefunden, dass er sie eingepackt und zu uns gefahren hat. Seit dem 02.05.2023 ist sie jetzt in dem Pflegeheim.

    Und das war das Beste, was wir machen konnten. Nach einiger Eingewöhnungszeit ist sie dort angekommen und fühlt sich richtig wohl. Hat Freunde gefunden und wieder Freude am Leben.

    Wir unternehmen regelmäßig etwas mit ihr. Entweder sie ist bei uns und kann etwas Zeit mit ihren Enkeltöchtern und ihrem Urenkel verbringen, oder wir sind mit ihr an der Ostsee, oder einem anderen See hier in MV. Oder wir gehen Essen. Wir haben in den letzten 8 Monaten mehr mit unserer Mutter unternommen, als in den letzten sieben Jahren zuvor. Und es tut ihr gut. Und es tut uns gut. Sie ist richtig emphatisch und kann sich über Zuwendung freuen.

    Alle Aktivitäten mit unserer Mutter werden in Fotos und Bildbänden dokumentiert und beschriftet. Die bekommt sie regelmäßig von uns geschenkt, damit sie eine Erinnerung an die mit uns verbrachte Zeit hat. Das hilft ihr ungemein gegen das Vergessen und gleichzeitig hat sie das Gefühl nicht mehr alleine zu sein. Selbstverständlich muss man im Umgang mit Demenzkranken einiges beachten und anders werten. Für uns ist vieles einfacher, da wir wissen, die frühere sehr abweisende und herablassende Art unserer Mutter, diente nur ihrem Selbstschutz.

    Jetzt kommt die Frage, die mich umtreibt. Wie weit muss ich in der Zeit zurückgehen, um zu wissen, ab wann es wirklich Selbstschutz war? Denn unsere Mutter galt noch nie als sehr emphatisch.


    Lieber Jasper, und k_s? jetzt komme ich auf Euch zurück.

    Was ist, wenn einem etwas passiert? Nicht dem Demenzkranken, sondern dem Partner. Derjenige, der alles schultert. Wer hilft ihm? Kann der Demenzkranke sofort helfen? Kann er sofort Hilfe holen?

    Ich glaube, es ist sogar sehr wichtig, da Vorsorge zu tragen.

    Und den Pflegegrad zu beantragen, wäre der erste Schritt. Ein ambulanter Pflegdienst, und wenn er nur morgens und abends die Medikamente reicht, könnte schon für die nötige Sicherheit sorgen. Die Pflegedienste verfügen über einen eigenen Hauschlüssel und könnten im Falle eines Falles Hilfe holen.

    Und so viel Verantwortungsbewusstsein sollte auch ein Demenzkranker haben. (Zumindest, wenn er noch zu Hause ist und einen Pflegegrad ablehnt) Er ist nicht nur für sich alleine verantwortlich, auch für seine Angehörigen. Die, die sich um ihn sorgen und sich um ihn kümmern.

    Die Pflegdienste verfügen über Erfahrungen und könnten die Lebenssituation evtl. besser beurteilen. Könnten Hilfe und Kontakte vor Ort vermitteln.

    Lieber Jasper und k­_s?, lasst Euch nicht von Euren Eltern abwimmeln. Bleibt da dran und drängt auf ein Gutachten vom Medizinischen Dienst. Zur Not holt Euch die Hausärzte ins Boot. Und je früher ihr Hilfe einschaltet, um so besser ist es für alle Beteiligten.

    Liebe Grüße von Heike

  • bearbeitet 28. Februar

    Hallo Jasper,

    meine Mutter ist 61. Angefangen hat die Erkrankung wahrscheinlich schon vor 7 Jahren. So genau kann ich das nicht sagen, weil meine Mutter sehr gut darin ist, ihre Fassade aufrecht zu erhalten. Sie ist aber vor ca. 7 Jahren vergesslich geworden und hat z.B. vergessen die Miete zu überweisen. Vor 4 Jahren wurde ihr gekündigt, weil sie an der Arbeit zu viele Fehler gemacht hat.

    Ich bin Einzelkind und meine Mutter ist nach der Scheidung von meinem Vater auch keine Beziehung mehr eingegangen. Ich dachte anfangs, sie fühle sich einsam und sei depressiv. Letztes Jahr im Oktober hat sie dann eine Psychose erlitten. Wir hatten uns oft gestritten, weil sie eine neurologische Behandlung verweigerte. Ich konnte sie dazu überreden, sich in die Psychiatrie einweisen zu lassen. Dort wurden dann Alzheimer und vaskuläre Demenz festgestellt. Sie reagiert sehr sensibel auf die Begriffe "Demenz" oder "Alzheimer", weshalb ich in ihrer Gegenwart die Krankheit nicht anspreche.

    Ich musste sie in einer Demenz-WG unterbringen, weil sie alleine nicht mehr zurecht kommt. Dort ist sie seit Montag. Das Pflegepersonal ist auch sehr nett und verständnisvoll. Sie hat ihr eigenes Zimmer mit Bad. Trotzdem weint sie sehr oft und ist deprimiert, weil sie den Zustand anderer Bewohner miterlebt. Zwei Bewohnerinnen befinden sich bereits im Endstadium.

    Sie spricht ständig davon, wieder arbeiten zu wollen und dass es ihr doch schon wieder besser gehe. Sie behauptet, sie sei in der Psychiatrie keine Patientin sondern Mitarbeiterin gewesen und bestreitet vehement, erkrankt zu sein. Ich dachte anfangs, das sei ein Symptom der Krankheit. Gestern war sie jedoch sehr verzweifelt und bat mich, einen Termin in der Gedächtnisambulanz der Uniklinik zu machen, damit sie wieder gesund werde. Sie leugnet die Krankheit die meiste Zeit. Ich habe auch mit einem der Pfleger, der in der Paliativpflege tätig war und dessen Mutter ebenfalls erkrankt ist, gesprochen. Er meinte, sie sei noch nicht so weit und wir müssten ihr die Zeit geben, ihre Erkrankung zu akzeptieren.

    Der Nachteil einer Demenz-WG gegenüber der Pflege im eigenen Haushalt ist natürlich, dass Betroffene sehen, wie die Krankheit sich im fortgeschrittenen Stadium bei anderen äußert. Dass man natürlich Angst vor der Zukunft hat, ist nachvollziehbar. Leider darf sie auch nicht alleine raus bzw. genehmige ich das nicht, weil sie zu desorientiert ist. Sie ist sehr freundlich und friedlich, aber braucht nun mal eine Begleitperson. In der Psychiatrie war das anders. Dort sind die Therapeuten zum Walken mit den Patienten rausgegangen. Andere Patienten, die z.B. depressiv, aber ansonsten stabil, sind, haben sie auch mal mit raus genommen. Jetzt fühlt sich sich natürlich wie eine Gefangene und möchte, dass ich ihr eine Wohnung suche, damit sie wieder allein leben kann.

    Ich habe natürlich nicht das Problem, dass sie eine Person hat, die ihr Verhalten deckt, aber es ist trotzdem schwierig. Ich denke mal, dass es wie mit den Trauerphasen ist. Leugnen, Zorn, Verhandeln, Depression, Akzeptanz. Sie braucht wahrscheinlich ihre Zeit und einen Therapeuten hinzuzuziehen, ist wahrscheinlich noch zu früh. Ich vermute mal, dass es bei deinem Vater genauso ist. Er kann die Erkrankung seiner Frau nicht annehmen. Ich gehe mal davon aus, dass er erst nachgibt, wenn die Krankheit so weit fortgeschritten ist, dass er die Fassade nicht mehr aufrecht erhalten kann.

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